Linguistik online 7, 3/00

Der Sprachkontakt Französisch - Katalanisch im Roussillon

(Reutlingen)



1 Einleitung

In meinen folgenden Ausführungen möchte ich einen Überblick geben über den soziolinguistischen Status der katalanischen Sprache in einem bisher von der Forschung m.E. zu unrecht vernachlässigten, multilingualen romanischen Sprachraum: dem französischen Roussillon. Meine Untersuchung versteht sich als Beitrag zur Sprachkontaktforschung in einem Europa der Regionen, in dem schon seit geraumer Zeit ein neu aufflammendes Bewußtsein und Interesse für unterdrückte Sprachen und Kulturen - als Reaktion auf ein zunehmend utilitaristisch geprägtes Politikverständnis -  zu beobachten ist (cf. Bochmann 1989:8). Der Wunsch nach einer Neuordnung des politischen Gesellschaftsgefüges, der kulturell-sprachlichen Einheit einer staatenübergreifenden Region als Identifikationsmaßstab für Gruppenbildung und Abgrenzung nach außen, bestimmt das Geistesleben Europas der letzten Jahrzehnte. Als ein Meilenstein in dieser Entwicklung müssen die "Maastrichter Verträge" angesehen werden, in deren Artikel 128 dieser Grundsatz festgeschrieben wird.

Während das Katalanische in Spanien seit Francos Tod fast alle Funktionen einer Literatur- und Ausbausprache, auch im öffentlichen Leben, wiedererlangt hat, wird ihm in Frankreich nicht annähernd derselbe Stellenwert beigemessen. Inwieweit aber während dieser letzten zwei Jahrzehnte die politischen Umwälzungen des wirtschaftlich stärkeren Südens zunehmend auf das Roussillon abgefärbt haben und wie sich die Lage in absehbarer Zukunft gestalten könnte, möchte ich im folgenden darstellen. Exemplarisch am Katalanischen soll also gezeigt werden, welch soziale und individuelle Komplikationen eine solch typische "Diglossie" (ich verwende diesen Begriff im Gegensatz zu Koch und Lüdi stets im Sinne Fishmans) beinhaltet und welche Chancen Regionalsprachen haben, ihren oft zu unrecht unterschätzten Status halten oder gar ausbauen zu können.

Meine Umfrageergebnisse an verschiedenen Bildungseinrichtungen im Département Pyrénées-Orientales basieren auf einer teils qualitativ, teils quantitativ konzipierten Erhebung unter Schülern des Lycée Notre-Dame de Bon Secours in Perpignan (im folgenden LND genannt) und des Collège d'Enseignement Général in Bourg-Madame (CBM) nahe der andorranischen Grenze. Auch möchte ich Daten einer Longitudinalstudie anführen, die ich am Lycée Lurçat in Perpignan durchgeführt habe und die die Methoden von Gabriele Berkenbusch (1981) wieder aufgreift, die 1980 an derselben Schule eine Befragung zu ähnlichen Problemstellungen durchführte, so daß sich die Entwicklung der letzten zwanzig Jahre recht deutlich ablesen läßt.1

Ich gebe im folgenden einen Überblick über die behandelten Fragen und Ergebnisse meiner Feldforschung und richte das Hauptaugenmerk auf Sprachbewußtsein, Kompetenzen und Gebrauch des Katalanischen, wobei ich die Betroffenen auch selbst zu Wort kommen lasse. Deutlich hervorheben möchte ich den Unterschied zwischen Selbsteinschätzung und Ideologie der Befragten und ihren tatsächlichen Kenntnissen, die ich anhand von Übersetzungstests (Französisch-Katalanisch) ablesen konnte, sowie das Auseinanderklaffen zwischen Kompetenz und Performanz im Sinne Chomskys (1965) - vereinfacht ausgedrückt: "Nicht jeder, der Katalanisch sprechen kann, tut es auch". Die getrennte Betrachtung der Ergebnisse zweier Schulen mit und ohne Katalanischunterricht (LND in Perpignan und CBM) sowie der resümierende Vergleich der beiden Gruppen hat gezeigt, welch große Rolle dem Bildungswesen bei der Förderung der Schriftkompetenz zukommen kann und muß. In der Longitudinalstudie zum Lycée Lurçat widmete ich mich auch den Kenntnissen der Kultur und Literatur Kataloniens sowie der passiven Lesekompetenz in der Regionalsprache. Ich habe ferner versucht, sowohl einen Zusammenhang zum sprachlichen Verhalten als auch geschlechtsspezifische Ergebnisse aufzuzeigen. Ich beschränkte mich nicht auf äußere Sozialdaten, sondern ich wollte auch die emotionalen Komponenten, die Einstellungen gegenüber dem Katalanischen herausarbeiten. Holmes (in Viereck 1976: 301) betont die Wichtigkeit der Einstellungsforschung, über die ausführlich Fishman/Agheyisi (1970) und Shuy/Fasold (1973) informieren: "Research in the area of attitudes to language involves investigating the relationship between values and verbal behaviour, and is consequently relevant to most sociolinguistic research." Daher soll auch der Begriff 'attitude', so wie ihn Berkenbusch (1981: 4) für ihre Untersuchung, die mir als Vergleichsbasis diente, operationalisiert hatte, erneut ins Gedächtnis gerufen werden:

L'attitude une fois acquise par l'individu constitue la base
-de nouvelles images, impressions, stéréotypes etc.
-de nouvelles tendances affectives, de préjugés, d'opinions et de convictions
-d'un comportement respectif à ses positions.

Die Erhebungen zum Gebrauch gehen also über eine quantitative Erfassung einer Gruppe von Katalanischsprechern hinaus. Die den Erhebungen zugrunde liegenden Fragebögen findet man am Ende dieses Beitrags abgedruckt.


2 Hypothesen meiner Untersuchung

Ausgehend vom  status quo der katalanischen Sprache im Roussillon (seiner Präsenz im Schulwesen, in den Medien, der Verwaltung etc.), über welchen andere Studien ausführlich unterrichten (z.B. Kremnitz 1979, Hartmann 1980, Bochmann 1989, Marley 1995 u.v.a.), können Erwartungen formuliert werden, die beim Leser, der noch ohne Kenntnis der empirischen Ergebnisse ist, geweckt werden müßten. Eine genaue Analyse des status quo gilt als grundlegende Voraussetzung für jede sprachplanerische Betätigung, die auf seine Veränderung abzielt.

Das düstere Bild, daß sich dem Außenstehenden erschließt, dem es an Zeit und Forschungsintensität mangelt, sich in die diglossische Gesellschaft des Roussillon vorübergehend beobachtend zu integrieren, wird auch durch die Meinung eines Großteils der frankophonen Bevölkerung gestärkt, welche die Regionalsprachen als 'patois' abqualifizieren und die Konfliktivität der Diglossie leugnen. Auch potentiell Katalanophone tragen ihren Teil dazu bei, daß man ihr Idiom in Frankreich als nahezu ausgestorben betrachtet. Als gesichert gilt, daß es mehr Menschen gibt, die über Kompetenzen des Katalanischen verfügen, als solche, die es regelmäßig aktiv verwenden. Die Gründe für diese Diskrepanz liegen im Çauto-odië (cf. Kabatek in Berkenbusch/Bierbach 1994: ), d.h. in mangelndem Selbstbewußtsein und in der pragmatischen Haltung, das Französische sei von größerem Nutzen für den gesellschaftlichen Aufstieg. So werden von vielen Roussillonesen katalanische Wendungen, die ihnen aus ihrer näheren Umgebung vertraut sind, im französischen Diskurs meist nur als scherzhafte oder ironische Interjektionen angebracht (cf. Berkenbusch 1988).

Es ergaben sich folgende Vermutungen, die es zu widerlegen oder zu bestätigen galt:

(1) Das Katalanische funktioniert in einem starren Diglossie-Schema vorwiegend als mündliche Sprache im familiären Gebrauch und unter älteren Menschen. Schriftkenntnisse sind so gut wie gar nicht vorhanden. In den Medien kann daher dem Katalanischen keine entscheidende Rolle zuteil werden. Die Schulen bemühen sich als einzige Instanz, das Interesse für die Wurzeln wieder zu fördern und auch Schriftkenntnisse unter der jungen Bevölkerung zu verbreiten. Von diesem Angebot wird tendenziell zunehmend Gebrauch gemacht.

(2) Man kann davon ausgehen, daß in einem dreigliedrigen Altersmodell gemäß Labov (1963) zwischen der mittleren Generation und den jeweiligen Extremen eine große Kluft besteht. Während das Katalanische für die Großelterngeneration oft noch Muttersprache ist (cf. Puig i Moreno in Treballs de Sociolinguistica Catalana 2/1979: 121), die aber nur mündlich verwendet werden kann, spielt es für die Elterngeneration so gut wie keine Rolle. Die Jugend jedoch lernt es zunehmend als Zweitsprache, mündlich mit älteren Verwandten und auf Wunsch auch schriftlich in der Schule.

(3) Davon sind vorwiegend die Oberschulen betroffen; somit wird die Beschäftigung mit katalanischer Sprache, Kultur und Literatur neuerdings auf ein intellektuelles Niveau gehoben. Der instrumentale Bilinguismus oder die Bildungszweisprachigkeit (cf. Lambert 1967: 102f.; Cropley in Oksaar 1984: 181) wird bewußt gefördert und entspringt weniger einem natürlichen Zugehörigkeitsgefühl zu dieser Sprachgemeinschaft. Daher auch die auffällige Präsenz der Regionalsprachen im universitären Bereich, während "auf der Straße" fast ausschließlich Französisch zu hören ist, wo das Katalanische mit dem Ableben der Großelterngeneration tatsächlich aussterben könnte, da es von der breiten Masse nicht mehr als vollwertiges Kommunikationsmittel, also nicht als Ausbausprache im Sinne Kloss' (1976) verstanden wird. Da sich aber Spracheinstellungen nicht nur linear entwickeln, sondern sich in längeren Zeitabständen auch zyklisch wiederholen können, darf diese Vermutung nicht verabsolutiert werden.

Es kommt nun darauf an, die oft geäußerten pessimistischen Prognosen (so z.B. Lüdi in LRL V,1/1990: 324) für das Katalanische kritisch zu untersuchen und zu einer reflektierteren, differenzierteren Einschätzung der Problematik zu gelangen. Sinn meiner Analyse ist es, die nicht-wissenschaftlichen, vorformulierten Erwartungen zu überprüfen, d.h. entweder zu bestätigen oder zu widerlegen. Fasold (1986: 85) bezeichnet dieses Vorgehen als inferential statistics, "used to tell a researcher whether or not the data support the idea she is trying to test". Besonders in der Soziolinguistik sei dies eine gängige und auch notwendige Methode, denn "when language use in context is the object of study, [...] we often need a method for distinguishing the real from the spurious." Die Ergebnisse meiner Studie sollen nun in zwei Teilen behandelt werden: Zunächst betone ich die entscheidende Rolle des Bildungswesens, die sich aus dem Vergleich einer Klasse mit Katalanischunterricht und einer Klasse, in der die Sprache nicht gelehrt wird, ergibt. Im zweiten Teil geht es vorwiegend um die diachronische Entwicklung, unter Berücksichtigung prospektiver Tendenzen (Weitergabe an die Kinder) und geschlechtsspezifischer Unterschiede.


3 Umfrage zu Kenntnissen und Gebrauch des Katalanischen unter Jugendlichen in Perpignan und Bourg-Madame

3.1 Ziel der Befragung

Der im Anhang abgebildete Fragenkatalog wurde im Dezember 1996 an das Lycée Notre-Dame de Bon Secours (ein religiöses Privatinternat mit fakultativem Katalanisch-Untericht bis zum baccalauréat) in Perpignan und an das Collège in Bourg-Madame (staatliche weiterführende Gesamtschule der Klassenstufen 6-9; alle Befragten ohne Katalanisch-Unterricht) je 100mal verschickt, mit der Bitte, die Bögen unter Lehrern, Schülern und deren Familien zu verteilen, um somit die volle Bandbreite verschiedener Alters- und Bildungsstufen mit ihrem linguistischen Verhalten erfassen zu können. Ich habe also versucht, Daten zu sammeln über die Funktionsverteilung der beiden Sprachen in der Diglossiesituation von Catalunya Nord.2 Neben der Befragung zum Gebrauch, abhängig von Sozialvariablen, Gesprächspartnern und diaphasisch-diastratisch markierten Registern, fragte ich auch nach der Einstellung gegenüber der Sprachpolitik, d.h. zur Einführung des Katalanischen als zweite Amtssprache im Roussillon und als Pflichtsprache an den Schulen. Danach wollte ich anhand des Übersetzungstests überprüfen, inwiefern die Selbsteinschätzung der sprachlichen Kompetenz mit der Realität übereinstimmt und Gründe für auffällige Divergenzen anführen.

3.2 Probleme

Es ergaben sich an beiden Schulen allerdings folgende Schwierigkeiten: Ursprünglich hatte ich die Absicht, eine diachronische Studie anzufertigen und Subjekte allen Alters miteinzubeziehen, um das Problem des Generationenkonflikts in den Mittelpunkt zu rücken. Trotz wiederholter Aufforderung konnte ich die Schüler aber nicht dazu bewegen, die Bögen in ihren Familien zirkulieren zu lassen. Die vereinzelten Vertreter der mittleren und älteren Generation fallen hier so wenig ins Gewicht, daß ich auf mein ursprüngliches Ziel verzichtete und nur mit den Daten der jugendlichen Informanten arbeitete. Einzig am Lycée Lurçat gelang es mir, einen größeren Teil ältere Menschen miteinzubeziehen. Von je 100 eingesandten Fragebögen erhielt ich vom LND 38, vom CBM 48 Stück zurück. Diese Quote enspricht in ungefähr den Erfahrungen von Schlieben-Lange (1973: 116), ja sie ist sogar noch günstiger ausgefallen: Wenn in einer Zufallsauswahl ein bestimmtes Sample zusammengestellt wird, so ist die Wahrscheinlichkeit, daß 60-80% der vorgesehenen Informanten die Auskunft verweigern, ziemlich groß. Entweder man registriert die Verweigerungen und arbeitet dann mit dem stark reduzierten sample und der kleinen Prozentzahl erhaltener Antworten weiter; oder aber man ersetzt die ausgefallenen Informanten durch nachrückende Versuchspersonen.

Ich entschied mich für die erste - ich gebe zu: einfachere - Lösung, welche selbstverständlich nicht förderlich für einen höheren Grad an Repräsentativität ist. Ein letzter Störfaktor ist natürlich das soziolinguistische Hintergrundwissen der Informanten: Nicht wenige versuchen, den vermeintlichen Erwartungen des Forschers entgegenzukommen. Das sich daraus ergebende Problem des 'Observer's Paradoxon' hat Labov (1972a: 113) ausführlich erläutert. Nach der Klärung dieser methodologischen Unzulänglichkeiten und Einschränkungen der Generalisierbarkeit ist es möglich, sich ersten Ergebnissen zuzuwenden.

3.3 Ergebnisse für das Lycée Notre-Dame de Bon Secours in Perpignan (mit fakultativem Katalanischunterricht)

3.3.1 Gebrauch des Katalanischen

Insgesamt geben 73% der 34 jungen Informanten an, sich gelegentlich des Katalanischen zu bedienen, während nur 10% diese Sprache als ihre Muttersprache betrachten, gegenüber 75% Frankophonen (der Rest verteilt sich auf spanische, englische und holländische Muttersprachler). Ich fragte nicht danach, was genau die Informanten unter dem schwammigen Begriff "Muttersprache" verstehen. Ich ging davon aus, es mit einer linguistisch weniger gebildeten Gruppe zu tun zu haben, die, wie im Volksmund üblich, mit diesem Terminus die zuerst gelernte Heimsprache, meist die Sprache der Mutter, konnotiert. Wenn ich nichts anderes kenntlich mache, muß dieser Begriff, der als vereinfachende Arbeitshypothese dient, also im landläufigen Sinne verstanden werden. Der Vollständigkeit halber muß aber auf die Problematik des Begriffs gerade bei bilingualen Individuen hingewiesen werden: Die meisten Linguisten verwenden ihn im Sinne von "an individual's first learned or primary language" (cf. Romaine 1989: 18). Die wenigen Informanten, bei denen ich eine annähernd ausgewogene ìBeidsprachigkeitî (cf. Halliday et al. 1964) konstatieren konnte, geben daher auch als einzige zwei oder mehrere "Muttersprachen" an. Betrachtet man nun die Gesprächssituationen, in denen Katalanisch angeblich gesprochen wird, so ergibt sich folgendes Bild:

Am häufigsten findet das Katalanische Verwendung im Gespräch mit den Großeltern (11/34), gefolgt von der Kommunikation mit anderen Familienmitgliedern (7/34), in der Schule - wobei der Sprachunterricht sicherlich mitgerechnet wird - (8/34), mit Freunden (6/34), mit Unbekannten (4/34), beim Einkauf (3/34) und bei Behördengängen (1/34). Die einzige Person, die sich auf dem Amt Katalanisch ausdrückt, stammt aus Barcelona und bezieht sich mit großer Wahrscheinlichkeit auf ihre Sprachgewohnheiten in der Heimat. Somit kann festgehalten werden, daß der Gebrauch des Katalanischen mit zunehmender Distanz, d.h. je höher die Diaphasik und je unbekannter der Gesprächspartner, abnimmt. Die Vermutung, das Katalanische fungiere in einer typischen Diglossie-Situation vorwiegend als Heimsprache (cf. supra), kann aufgrund dieser Daten nicht widerlegt werden.

Auch der Verdacht einer Generationenproblematik erhärtet sich, denn am häufigsten wird das Katalanische mit den Großeltern praktiziert. Die Sprachkenntnisse der Vorfahren spielen eine große Rolle im sprachlichen Verhalten der Jugendlichen: 47%, also knapp die Hälfte der Befragten, haben katalanischsprachige Eltern und/oder Großeltern. Darunter finden sich nur drei Personen, die die Chance zum Bilinguismus nicht genutzt haben und sich in allen Bereichen des täglichen Lebens assimiliert haben, d.h. ausschließlich Französisch sprechen. Noch wird also das Katalanische im Roussillon von Generation zu Generation weitergegeben, so daß die Gefahr eines kompletten 'language shift' noch nicht gegeben scheint. In meiner Pilotstudie versäumte ich es allerdings zu fragen, ob die Informanten das Katalanische später auch an ihre Kinder weitergeben würden. Auf diese vorausschauende Fragestellung, die für eine Beurteilung der Zukunft der Minderheitensprache von großem Interesse ist, gehe ich daher bei der Vorstellung der Longitudinalstudie am Lycée Lurçat im nächsten Abschnitt ein.

Nach den bisherigen Beobachtungen müßte man dem Katalanischen in Frankreich den Status 7-6 auf der GIDS-Skala zuordnen:

7: most users of Xish are a socially integrated and ethnolinguistically active population but they are beyond child-bearing age

6: the attainment of intergenerational informal oralcy and its demographic concentration and institutional reinforcement (Fishman 1991: 89f.)

Die Tatsache, daß nahezu ein Fünftel aller Befragten, unabhängig von ihrer sprachlichen Herkunft, und alle Muttersprachler, die sich selbst als solche sehen (10%), das Katalanische nicht nur mit Älteren, sondern auch unter gleichaltrigen Freunden verwenden, läßt auf ein längerfristiges Fortbestehen hoffen. Aus diesen Daten ergibt sich nämlich, daß auch wenn die Zahl autochthoner Katalanen aufgrund Überalterung rückläufig ist, die Zugezogenen dem Gebrauch der Regionalsprache nicht abgeneigt sind und zumindest ein konstanter, wenn nicht zunehmender Teil unter ihnen, diese weiter pflegen wird.

Auffällig ist auch, daß sich 60% der Befragten selbst als bilingual bezeichnen, obwohl die Mehrheit angibt, sich mit dem Französischen leichter zu tun und diese Sprache häufiger zu verwenden. Die großzügige Auslegung des Begriffs ìBilinguismusî beweist also, daß das soziale Prestige des Katalanischen so gering nicht sein kann, verdeckt aber auch die Konfliktivität der Diglossie-Situation, wie von dem engagierten Soziolinguisten Bernardó (in Kremnitz 1979: 128) kritisiert wird, der von Negierung des Konflikts und einem verzerrten Bild der individuellen sprachlichen Kompetenz spricht. Die Überschätzung der eigenen Kenntnisse, die zwar von einem gewandelten sprachpolitischen Selbstbewußtsein zeugt, mit der Realität aber nicht im Einklang steht, habe auch ich in der Auswertung meines Übersetzungstests beweisen können.

Betrachtet man den angeblichen Gebrauch des Katalanischen nun in Abhängigkeit von verschiedenen Sozialvariablen, so kann man bezüglich der Herkunft und des Wohnorts recht deutliche Ergebnisse ablesen: Von denjenigen Personen, die im Département Pyrénées-Orientales (=PO) geboren sind, sprechen 72% Katalanisch, jedoch nur 22% der außerhalb Geborenen, wobei andere katalanischsprachige Gebiete bereits inbegriffen sind. Die Herkunft spielt also eine große Rolle in der Ausbildung des Sprachbewußtseins, wenn man noch bedenkt, daß 84% der Personen mit katalanophonen Vorfahren die Minderheitensprache sprechen. Der Faktor des Orts, an dem ein Individuum die längste Zeit seines Lebens verbracht hat, tritt hinter dem Faktor des Geburtsorts zurück, denn 72% der in den PO Geborenen sprechen Katalanisch, gegenüber 63% derer, die dorthin zugezogen sind. Dies liegt wohl an dem allgemein geringen Assimilationszwang in Catalunya Nord, da die autochthone Sprache im offiziellen Bereich so gut wie keine Rolle spielt (wie die Befragung zum Sprachgebrauch in offiziellen Situationen beweist) und auch in den Schulen nur sehr unzureichend gefördert wird. Unterteilt man die Wohnorte in Perpignan und umliegende Dörfer, so stellt man eine nicht unbedeutende Divergenz zwischen dem Sprachgebrauch der Landbevölkerung und dem der Städter fest. 72% derjenigen, die die meiste Zeit ihres Lebens in einem Dorf in den PO verbracht haben, sprechen Katalanisch, aber nur 59% derjenigen, die in Perpignan aufgewachsen sind. Die Personen, die den größten Teil ihres Lebens außerhalb der PO verbracht haben, bedienen sich nur zu 37% der Minderheitensprache. Für den Gebrauch des Katalanischen unter den Jugendlichen sind also vor allem Herkunft und Familie ausschlaggebend, was aber nicht bedeutet, daß die Muttersprachler etwa die besten schriftlichen Kompetenzen aufzuweisen hätten.

In bezug auf den Bildungsstand der Familie läßt sich ebenfalls eine interessante Tendenz ablesen: Im Gegensatz zu Spanien, wo das Katalanische zunehmend in die intellektuelle Mittel- und Oberschicht eingedrungen ist (cf. Leprêtre 21992: 17, Berkenbusch 1994), nehmen noch heute in Frankreich die (mündlichen) Katalanischkenntnisse zu, je geringer die Ausbildung der Eltern ist. 60% der Jugendlichen, deren Vater einen "einfachen" Beruf (Arbeiter, Landwirt etc.) ausübt, sprechen Katalanisch, doch nur 54% derjenigen, deren Vater einer akademischen Tätigkeit nachgeht. Noch deutlicher wird der Verdacht eines Zusammenhangs, wenn man auch den Bildungsgrad der Mutter miteinbezieht: 60% der Befragten, deren Mutter Hausfrau und/oder ohne weiterführende Bildung ist, sprechen Katalanisch, doch nur 43% der Schüler, deren Vater und Mutter eine Universitätsausbildung aufweisen und am Erwerbsleben teilhaben. Als Extrembeispiel führe ich an, daß nur 17% derer, die eine Lehrerin als Mutter haben, Katalanisch aktiv verwenden. Letztgenannter Beruf ist häufig vertreten, so daß es hier sinnvoll erscheint, ihn aus der schwer aufzugliedernden Masse zahlreicher anderer Berufe herauszunehmen. Daraus leite ich ab, daß noch in der Elterngeneration eine gute Schulbildung mit kultureller und sprachlicher Entwurzelung einherging, und diese zur Assimilation an den Gebrauch des Französischen in allen Bereichen führte. Darüberhinaus tradierten gerade die Lehrer althergebrachte Bildungsideale, denen sie sich verpflichtet fühlen. Heute scheint sich die Situation zunehmend umzukehren: Das Schulwesen ist nicht mehr so repressiv wie früher. Es ist wahrscheinlich, daß eine höhere Bildung heutzutage das einzige probate Mittel ist, um das Interesse an den Wurzeln wieder zu fördern, wenn diese mit einer Verstärkung des Katalanischunterrichts einhergeht. Die Medien sind zu sehr am Kommerz orientiert, und die Elterngeneration verfügt nicht über die nötigen Kenntnisse, um das Katalanische auch schriftlich an ihre Kinder weiterzugeben.

3.3.2 Einstellungen zum Katalanischen

Die überwältigende Mehrheit der Befragten befürwortet die Aufwertung von Regionalsprachen im allgemeinen (78%). Die Schüler stimmen auch mit einer knappen Zweidrittel-Mehrheit (62%) für eine Einführung des Katalanischen als Amtssprache (meist im Rahmen einer co-oficialitat) oder geben zumindest vor, nichts dagegen zu haben. Man würde dieses Bild aber falsch interpretieren, wenn man nun davon ausginge, es mit einer überraschend hohen Mehrheit von engagierten Katalanisten zu tun zu haben; denn ein Drittel derer, die zwar diesem politischen Schritt nicht abgeneigt wären, halten dies ohnehin für unwahrscheinlich oder gar utopisch. Aus dieser realistischen Einschätzung hört man nur äußerst selten Frustration heraus; niemand möchte den Status des Französischen gefährden. Die Tatsache, daß sich 32% jeglicher Meinungsäußerung enthalten, stützt die Vermutung, daß viele Roussillon-Katalanen keinen Sprachkonflikt heraufbeschwören wollen und sich mit dem status quo zufrieden geben. Es fällt auch auf, daß die große Gruppe von Zufriedenen oder Gleichgültigen sich weniger die Mühe macht, ihre Antworten zu begründen, als diejenigen, die mit dem status quo nicht einverstanden sind. Die meisten Begründungen findet man in der Gruppe derer, die das Katalanische als Amtssprache einführen wollen, und dies auch für möglich halten. Dies ist der Fall bei prokatalanistisch eingestellten Individuen, die sich Unabhängigkeitsbestrebungen nicht abgeneigt fühlen und den Begriff "Nation" über die gemeinsame Sprache definieren, wie es einer traditionellen europäischen Geisteshaltung entspricht, die im Zuge der Französischen Revolution zu einem wichtigen Ideologem heranreifte und von Fichte (1808) in seinen Reden an die deutsche Nation auf die deutschen Verhältnisse übertragen wurde. Dieses Nationalbewußtsein der Jugendlichen drückt sich in bezug auf die Frage nach der Amtssprache folgendermaßen aus:
"Cela serait possible si l'on pouvait obtenir l'indépendance, le catalan serait alors plus employé."

"C'est logique, car en Catalogne, on devrait parler catalan."

Besonders in letzterer Äußerung wird implizit das in der Schweiz seit langem bewährte ìTerritorialitätsprinzipî (cf. Martí i Castell 1992: 154) vertreten. Stark politisierende Züge wie die Verwendung der Begriffe "indépendance politique" oder gar "ethnie catalane" bilden in meinem sample zwar die Ausnahme, sind aber latent vorhanden. Diejenigen, die solch militante Haltungen annehmen, weisen die geringsten schriftlichen Kenntnisse im Katalanischen auf, das sie allerdings als ihre Muttersprache bezeichnen. Sie wollen ihre Kenntnisse verbessern und fordern die Einführung als Pflichtsprache an den Schulen. Die knappe Hälfte (48%) jedoch spricht sich gegen den obligatorischen Unterricht aus, wünscht aber, daß er auf freiwilliger Basis gewährleistet bleibt. Ein Zusammenhang zwischen Kenntnissen und der Einstellung gegenüber der Einführung als Pflichtsprache ist deutlich: Unter denjenigen, die den obligatorischen Unterricht befürworten, weisen 63% gute schriftliche Kenntnisse auf. Diejenigen, die dagegen sind, weisen zu 74% rudimentäre Kenntnisse auf. Die Mehrheit der schwächeren Schüler beweist also keinen soziolinguistischen Weitblick, sondern bildet sich ihre Meinung aufgrund der Angst vor schlechten Katalanischnoten! Einige von ihnen flüchten sich jedoch auch, wie oben gesehen, in streitbare Parolen. Das Parodoxon, daß die am wenigsten alphabetisierten Jugendlichen dem Katalanischen einen so hohen emotionalen Wert beimessen, zeigt, daß die repressive Sprachpolitik Frankreichs es ermöglicht hat, daß viele Menschen zu Analphabeten in ihrer Muttersprache wurden und somit erst eine aggressive Stimmung heraufbeschworen hat, die allerdings noch ein Minderheitenphänomen ist.

Nach diesem Teil der Befragung wird also ersichtlich, daß von den Abiturienten des LND ein Übergang zum Grad 5-4 auf der GIDS-Skala befürwortet wird, was bedeuten würde, daß "Xish literacy in home, school and community" praktiziert würde, "but without taking on extra-communal reinforcement of such literacy", so Fishman (1991: 95f.). Besonders wichtig bei der Sprachdiskussion im Roussillon scheint also der Übergang von Mündlichkeit zur Schriftlichkeit im medialen Sinne zu sein. Die Grade von 3-1 (bis hin zu: "some use of Xish in higher level educational, occupational, governmental and media efforts, but without the additional safety provided by political independence"), die in Spanien gewiß erreicht sind, werden jedoch als unrealistisch und auch gar nicht erstrebenswert eingestuft. Joan Solà bremst den Enthusiasmus mancher Sprachplaner, ruft aber zu Wachsamkeit auf in Centellas et al. (1997: III):

Afortunadament, avui nosaltres tenim uns horitzons una mica més esperançadors que en altres temps, encara que això no ens fa pas ser excessivament confiats, [...] i som conscients que les circumstàncies polítiques, socials i econòmiques actuals no aconsellen a les cultures demogràficament petites d'abandonar la vigilància.
Diese Wachsamkeit scheint auch mir geboten, besonders wenn man nun die Kenntnisse der Schriftsprache betrachtet, welche im krassen Gegensatz zur sprachpolitischen Einstellung und zum individuellen Sprachbewußtsein der untersuchten Subjekte stehen.

3.3.3 Die Kenntnisse der Schriftsprache

Anhand des Übersetzungstests konnte ich zeigen, daß Selbsteinschätzung und wirkliche Kompetenz meist stark divergieren. Man muß allerdings bedenken, daß sich meine Korrektur an der offiziell alleingültigen Schriftnorm des Zentralkatalanischen (der Varietät von Barcelona) orientiert, deren Kenntnis ohnehin nur von linguistisch gebildeten Kreisen vorausgesetzt werden kann. So konnte ich diatopische Besonderheiten des Ostkatalanischen, zu dem laut Röntgen (31990: 11) das Roussillonesische zählt, in der Lexik (so z.B. mehrmals "padrí" für "avi") und in der Orthographie, beeinflußt durch den spezifischen phonischen Code der Varietät, beobachten. Ich teilte den Kenntnisstand im Katalanischen gemäß der Skala der Selbsteinschätzung in vier verschiedene Grade, die wie folgt korreliert werden können: 0-10 Fehler=perfekt; 10-20 Fehler=recht gut; 20-30=ein wenig; 30 und mehr=gar nicht. Nach der Zählung aller Fehler in Grammatik, Orthographie und Lexik sowie der Interferenzen und Lücken ergab sich folgendes denkwürdiges Bild: Lediglich 3/34 der Befragten haben in den 7 Sätzen zwischen 0 und 10 Fehlern gemacht, 6/34 zwischen 10 und 20 (aber 8/34 schätzen ihre Kenntnisse als recht gut ein),  weitere 6/34 zwischen 20 und 30 (während sich 21/34 oder 70% zu dieser Gruppe zählen!) und die überwältigende Mehrheit von 19/34 weist mehr als 30 Fehler und/oder mindestens zwei unübersetzte Sätze auf (wobei aber nur 4/34 zugeben, keine Schriftkompetenz aufzuweisen). Bei der Klassifizierung der Fehler rangiert die Orthographie (i7,1 Fehler pro Person) mit Abstand an erster Stelle, gefolgt von unübersetzten Sätzen (i2,6), Grammatik (i2,8) und Lexik, wobei die Anzahl der Gallizismen (i0,8) die der Hispanismen (i0,6) knapp überwiegt.

Besonders die Muttersprachler mit einer guten lexikalischen Basis weisen die meisten Rechtschreibfehler auf, die sich vorwiegend bei der Akzentsetzung, der fälschlichen Schreibung des unbetonten Vokals [u] als /u/ statt /o/ (*vulgut), der beliebigen Wahl zwischen /e/ und /a/ im auslautenden vocal neutre [X] (*rose, *mara) und im unsicheren Umgang mit den dem Französischen fremden Affrikaten [tï] und [dï]  (*boitg, *botj, *boix, *rellotje etc.;) bemerkbar machen. An diesen Beispielen wird deutlich, wie beim ungesteuerten Spracherwerb der phonische Code der erlernten diatopischen Varietät (hier: des Roussillonesischen) auf den graphischen der Standardsprache übertragen wird.

Frankophone Schüler hingegen, die das Katalanische erstmalig in der Schule lernen und somit hauptsächlich mit der Standardvarietät Barcelonas in Berührung kommen, haben weniger Probleme mit Orthographie und Grammatik, dafür aber größere Lücken im Wortschatz. Hier findet man die meisten 'calques linguistiques' aus dem Französischen (z.B. lavar für rentar, *monstra, monstre (sic!) für rellotge, *petit-fill für nét etc.) Es ist in manchen Fällen schwer zu entscheiden, ob es sich bei diesen offensichtlichen Gallizismen um individuelle Interferenzen oder um seit langem tradierte Entlehnungen aus dem Französischen handelt, die als Roussillonismen in der Gebrauchsnorm der konzeptionellen Mündlichkeit akzeptiert sind. Die Schwierigkeit liegt darin, daß die diatopische Varietät des Katalanischen, die in Frankreich gesprochen wird, das català septentrional, nie als Schriftform standardisiert wurde. Hispanismen findet man vorwiegend bei spanischen Muttersprachlern, und bei denjenigen Schülern, die angeben, auch Spanisch in der Schule zu lernen (lavar für rentar, guapa für bonica, häufig Imperfekt-Graphie mit -b- statt mit -v-, tenir que für haver de etc.) Auch hier wird natürlich nicht deutlich, ob es sich bei diesen Übertragungen um unbewußte Interferenzen handelt, die die betroffenen Personen als Fehler akzeptieren würde, wenn man sie darauf hinwiese, oder ob bewußt ein kastilianisiertes Katalanisch sozusagen als català light eingesetzt und nicht als falsch empfunden wird.

Unabhängig von der Muttersprache und weiteren erlernten Sprachen der Informanten beherzigt fast niemand den (präskriptiv übrigens nicht mehr verbindlichen) acord del participi, obwohl man bei frankophonen Schülern mit einer 'Transferenz' cf. Bechert/Wildgen 1991: 3) hätte rechnen können. Auch der article personal (En Pere) wird kaum beherrscht. Große Schwierigkeiten bietet auch die korrekte Verbkonjugation, vor allem bei den gezielt eingesetzten Konjunktivformen (donguin, aprengués). Oft wird jedoch ersichtlich, daß das Bewußtsein für die Verwendung des Konjunktivs, sogar für den Konjunktiv Imperfekt, welcher doch aus dem französischen Sprachgebrauch weitgehend verschwunden ist, vorhanden ist. Es überwiegen auch hier orthographische Probleme (*apprenguis, *dongin, *appringés etc.) Wenn auch die Anzahl derer, die das Katalanische mündlich und schriftlich mehr oder weniger zu beherrschen vorgeben, für mich überraschend hoch ausgefallen ist, so sind doch die Kenntnisse der Schriftsprache rudimentär. Die drei Schüler, die mit weniger als 10 Fehlern die Ausnahme bilden, haben allesamt den größten Teil ihres Lebens in der Generalitat verbracht und haben dort die Grundschule besucht. Diese wenigen Individuen, die sich zu recht als bilingual bezeichnen, sind auch neben den vier Personen, die angeben, Katalanisch gar nicht zu schreiben, die einzigen, die ihre sprachlichen Kompetenzen realistisch einschätzen. Bei letzteren bleibt die Übersetzung nahezu unbearbeitet, während diejenigen, die vorgeben, über Kenntnisse zu verfügen und sich dabei überschätzen, versuchen, diese auch im Test zu beweisen, daran aber mehr oder weniger eindeutig scheitern.

Die frankophonen Schüler, die auf dem Gymnasium passable Kenntnisse erworben haben (zwischen 10 und 20 Fehler), unterschätzen sich gerne und geben an, katalanisch nur ein wenig schreiben zu können, während diejenigen, die oft Katalanisch sprechen und es zuhause bei Eltern und Großeltern gelernt haben, auch ihre Schriftkenntnisse als "recht gut" oder "perfekt" bezeichnen, obwohl gerade sie die meisten Fehler und Transferenzen, zum Teil freilich bedingt durch die Infiltration durch Regionalismen, machen. Diese häufige Überschätzung der eigenen Kenntnisse ist ein Hinweis auf einen höheren sozialen Wert des Katalanischen, was schon im Umgang mit dem Begriff 'Bilinguismus' deutlich geworden ist. Eine neue Tendenz im kollektiven Sprachbewußtsein zeichnet sich also ab. Positiv möge auch die weiter oben ausgeführte Beobachtung stimmen, daß immer mehr Menschen, die nicht in den Pyrénées-Orientales geboren sind und aus nicht-katalanischsprachigen Gebieten zugezogen sind, der Regionalsprache Katalanisch mindestens duldend oder gar wohlwollend gegenüberstehen.

3.4 Ergebnisse für das Collège de Bourg-Madame (kein Katalanisch-Unterricht)

Mit der zusätzlichen Befragung einer Dorfschule erhoffte ich mir, eine größere Zahl von Informanten ausfindig zu machen, die sich gelegentlich des Katalanischen bedienen, da alle Befragten im ländlichen Raum der PO wohnhaft sind. In dieser Gruppe stellte ich ja am LND ein deutliches Übergewicht von Katalanophonen fest und ging nun davon aus, den Gegensatz zwischen Stadt- und Landbevölkerung noch deutlicher stützen zu können. Andererseits glaubte ich aber auch, daß ich weniger Informanten mit einer akzeptablen schriftlichen Kompetenz finden würde, aufgrund des geringeren Alters und mangels Katalanisch-Unterricht. Die zweite Annahme kann nur all zu klar bestätigt werden, die erste Annahme hingegen erwies sich als falsch. Die Erklärung hierfür ist im psychosozialen Bereich zu suchen, wie ich im folgenden darlege.

Dadurch, daß ich die Befragung an einem Lycée und an einem Collège durchführen konnte, kann ein Zusammenhang zwischen dem Bildungsniveau der Informanten und ihrer Einstellung gegenüber dem Katalanischen herausgearbeitet werden. Ich konstatiere bei einer nicht geringen Anzahl Schüler des CBM eine defizitäre Ausdrucksweise im Französischen, sehr undifferenzierte und unqualifizierte Äußerungen zum Problem des Sprachkonflikts, ein provokantes Desinteresse ("Bof, zak, vous me faites iech avec le catalan") in der "Sondage d'opinions", grundlegende Mißverständnisse verschiedener Fragen und offensichtliche Widersprüche sowie einen Hang, den Forscher lächerlich zu machen (Übersetzungen auf Kastilisch!). Somit wird deutlich, daß sich der Durchschnitt doch sehr vom Niveau des Lycées unterscheidet, was auch nicht weiter verwunderlich ist, da im französischen Schulsystem bis zur 9. Klasse keine Gliederung nach Leistungsniveau erfolgt. Die collégiens sind aber auch im Durchschnitt jünger als die Informanten des LND und befinden sich allesamt in der Pubertät. Somit ist eine offene Protesthaltung gegenüber Werten des "Establishments" nicht ungewöhnlich.

Von 100 eingeschickten Fragebögen erhielt ich 48 Stück zurück. Darunter finden sich 44 Schüler aus den Jahrgängen und 4 Personen mittleren Alters (2 surveillants, 2 Lehrer; ). Die hohe Quote ist auf den ersten Blick verblüffend, da doch offensichtlich eine größere Zahl von Desinteressierten und dem Katalanischen eher ablehnend Gesinnten vertreten ist als auf dem Lycée, wo der Rücklauf geringer war. Es besteht daher der Verdacht, daß auf dem LND von den zuständigen Lehrern eine Filterung vorgenommen wurde, um einen guten Eindruck in bezug auf die Förderung des Katalanischen an diesem Gymnasium zu erwecken. Am CBM wurden wohl prinzipiell alle Fragebögen (abgesehen von den komplett unbearbeiteten) zurückgeschickt. Somit haben wir es im folgenden mit einem oft schwer zu verwertenden Datenmaterial zu tun, da leider zu viele Fragen unzureichend beantwortet wurden. Aufgrund dieser Schwierigkeit der Quantifizierung werde ich die Auswertung dieser Daten offener gestaltet und individuelle Meinungen und Fallbeispiele stärker in den Mittelpunkt rücken. Wo sich keine wesentlichen Unterschiede zu den Ergebnissen des LND nachweisen lassen, verzichte ich auf ausführliche Interpretationen der Daten.

Es erscheint logisch, daß wir es hier mit einer geringeren Anzahl von aktiv Katalanischsprechenden zu tun haben als am LND, da am CBM wie gesagt kein Katalanischunterricht stattfindet. Die Tatsache, daß trotzdem ein knappes Viertel sich gelegentlich des Katalanischen bedient, beweist nochmals, daß das Katalanische auch und gerade informell in der Familie von Generation zu Generation weitergegeben wird und daß auf diesem Wege zumindest Grundkenntnisse in den Kompetenzen Sprechen und Verstehen vermittelt werden können. Marleys Befragung in Perpignan (1995: 55) zeigt, daß die klare Mehrheit (48%) derjenigen, die zumindest über eine der Kompetenzen Verstehen, Sprechen, Lesen oder Schreiben im Katalanischen verfügen, diese Kenntnisse in der Familie erworben hat, während nur 8,4% die Sprache erstmals an der Schule lernten.

An meinen Ergebnissen aus Bourg-Madame wird ferner ersichtlich, daß die Anwendungsbereiche des Katalanischen wie auch in Perpignan diglossisch klar von denen des Französischen getrennt werden und daß auch hier die Kommunikation mit den Großeltern stark überwiegt. Der öffentliche Gebrauch als Distanzsprache (mit Fremden, auf Behörden) rangiert auch in der Skala des CBM ganz unten, während mehr Personen im Umgang mit Vertrauten die B-Sprache verwenden. Interessant im Zusammenhang mit dem Sprachgebrauch ist auch die Verteilung der Muttersprachen und der bilingualen Individuen. Das Französische überwiegt deutlich: 72% der Befragten geben es als ihre dominierende Erstsprache an. Wohl aufgrund einer recht hohen Zuwanderungsquote von Familien aus Südspanien rangiert das Kastilische als Muttersprache mit 8% noch vor dem Katalanischem (6%). Mit je einer Person bzw. je 2% sind das Englische und das Arabische vertreten.

Als bilingual bezeichnen sich insgesamt 65% der Befragten. Gegenüber lediglich 23% aktiv Katalanischsprechenden wird auch hier - noch viel krasser als am LND  - deutlich, daß Bilinguismus für die Informanten meist mit dem gesteuerten Zweitspracherwerb in der Schule (Englisch, Kastilisch, Deutsch) gleichgesetzt wird, welcher aber gerade in Frankreich wenig Früchte trägt, da vorwiegend die rezeptiven und iterativen Kompetenzen gefördert werden. Es gilt, daß die Beherrschung mehrerer Sprachen nicht als konfliktträchtig eingestuft wird. Auch die katalanisch-französische Diglossie bereitet der Mehrheit keine Schwierigkeiten. Von den Individuen, die aktiv Katalanisch sprechen, bezeichnen sich allerdings nicht alle als bilingual. Von vielen wird das Katalanische als unwichtig, zum Teil als Dialekt oder unnatürliche Sprache ("langue soutenue", "langue pas vivante", "langue dont on rit") eingestuft. Der Selbsthaß ist ausgeprägter als unter den Gymnasiasten in Perpignan. Dies zeigt sich auch im Zusammenhang mit den Kenntnissen der Schriftsprache. 92% machen mehr als 30 Fehler oder lassen im Test mehr als zwei komplette Sätze unbearbeitet und fallen somit in die unterste Kategorie. Ein wesentlicher Unterschied zu den Ergebnissen am LND liegt auch in der Selbsteinschätzung: 84% der Befragten geben den Tatsachen entsprechend unumwunden zu, keine Schriftkompetenzen zu besitzen, während sich die Mehrheit am LND falsch einstufte, d.h. meist überschätzte. Dies werte ich als ein weiteres Anzeichen des auto-odi: es gilt nicht als prestigeträchtig, Katalanisch zu beherrschen. In der Gruppe pubertierender Jugendlicher eines Dorfes gilt es noch als schick, sich von der vermeintlichen Sprache der Alten zu distanzieren. Diese ablehnende Haltung möchte ich anhand einiger Fallbeispiele anschaulich machen (Die Namen sind von mir erfunden, um Kennziffern zu vermeiden):

Jérôme, 15 Jahre alt, wohnhaft seit frühester Kindheit in Ur. Seine Mutter stammt aus Lleida, arbeitet als Verkäuferin. Der Vater ist Elektroingenieur aus Toulouse. Jérôme bezeichnet sich als bilingual, lernt in der Schule Spanisch und Englisch, spricht mit Freunden gelegentlich Katalanisch und verfügt auch über Grundkenntnisse der Schriftsprache. Der Gebrauch und die Kenntnisse des Katalanischen stehen jedoch im offenen Widerspruch zu seiner Einstellung: "Pour moi, le catalan est une langue dont on en (sic!) rit. Je ne la considère pas comme une langue vivante." Als eigenen Bildungsstand gibt Jérôme "lycée général" an, während er aber noch das Collège de Bourg-Madame besucht. Daraus schließe ich den Wunsch nach intellektuellem und sozialem Aufstieg mit dem Vater als Vorbild, verbunden mit einer Ablehnung der Werte der katalanischen, weniger gebildeten Mutter. Ein typischer Fall von auto-odi, also Leugnung seiner halben Identität. Daß das Katalanische vorwiegend von Schülern aus Familien mit geringer Bildung als Aufstiegshemmnis abgelehnt wird, zeigt uns auch Jean-Luc, ebenfalls 15 Jahre alt, in Toulon als Kind rein frankophoner Eltern (aus Le Seirgne und Lille) geboren. Erst seit 3 Jahren ist er in den P.O. (Osséja) wohnhaft. Sein Vater ist Koch, die Mutter Hausfrau. Die Meinungsumfrage läßt er außer acht. Jeden einzelnen Satz des Übersetzungstests kommentiert er mit "je ne sais pas". Abschließend teilt er mir in vulgärem verlan mit: "vous me faites iech avec le catalan." In einfachen Kreisen wird das Katalanische als Sprache der Ungebildeten stigmatisiert, um sich selbst zu erhöhen.

Doch auch in höheren Bildungsschichten ist die Ablehnung des Katalanischen verbreitet, wie der Fall von Christine, 13 Jahre, beweist. Geboren in Perpignan hat sie den größten Teil ihres Lebens in Olette (P.O.) verbracht und wohnt seit 5 Jahren in Bourg-Madame. Ihr Vater ist Polizist kastilischer Abstammung, die Mutter Lehrerin (!) aus Dax. Sie gibt an, Spanisch fließend zu sprechen und bezeichnet sich als zweisprachig. Ihr Französisch ist defizitär. Der Verdacht liegt nahe, daß Christine sich mit dem spanisch-französischem Bilinguismus bereits überfordert fühlt, und daher kein Interesse am Katalanischen zeigt. Christine gibt ihre Einstellung gegenüber dem Katalanischen wie folgt  wieder: "Sa (sic!) pue. rejet. je n'aime pas. C'est pouri (sic!)". Auf die Frage nach der Amtssprache: "Non car je n'aime pas le catalan. y'a que les vieux qui le parle (sic!)." Ihre Äußerungen sind kein Einzelfall. Sébastiens (13) Protesthaltung scheint sich vorwiegend gegen die Mutter, die aus Puigcerdà in der Generalitat stammt und in ihrem Beruf als Altenpflegerin täglich Umgang mit alten Menschen hat, zu wenden: "Beaucoup dans ma famille le parle (sic!) mais pas moi. Non je n'aime pas, c'est pour les vieux." Seine Mißachtung des Katalanischen gipfelt darin, daß er im Sprachtest alle Sätze auf Kastilisch übersetzt.

An diesen Beispielen wird deutlich, wie typisch in der Altersgruppe von 11-16 Jahren eine offene Protesthaltung gegenüber den Werten, die das Elternhaus und die traditionelle Umgebung vermitteln, ist (cf. Berkenbusch 1981: 56ff. und Labov 1963). Erst später, wenn der Aufstieg geschafft ist, man aus dem dörflichen Umfeld der Jugend in andere Kreise eingedrungen ist, erinnert man sich gerne wieder an seine Herkunft. Daher rührt wohl das Interesse für die Wurzeln und die positive Einstellung gegenüber dem Katalanischen bei den älteren (16-18 Jahre) Internatsinsassen in Perpignan, die aus dem ländlichen Raum stammen, katalanischsprachige Vorfahren haben und nun eine international ausgerichtete höhere Schulbildung genießen. Vergleichbare Beobachtungen zum Moselfränkischen ("Lothringer Platt") macht Stroh (1993: 117):

Ein positiver Aspekt für die Zukunft der Regionalsprache war die Feststellung einiger Informanten, daß die jüngere Generation ab einer gewissen Reife und wenn der soziale Druck etwas nachläßt, die Vorzüge der Regionalsprache erkennt.
Unter sozialem Druck ist wohl der Zwang zur Alphabetisierung im Französischen zu verstehen, welcher sich hinderlich für das Interesse an der Regionalsprache auswirkt, solange die Alphabetisierung noch nicht abgeschlossen ist oder Probleme bereitet - defizitäre Ausdrucksweise im Französischen und Ablehnung des Katalanischen gehen bei oben zitierten Fallbeispielen Hand in Hand.

Daran erkennt man, daß kritische Stimmen, die im Bilinguismus auch Nachteile und Hindernisse für das korrekte Erlernen jedes einzelnen Sprachsystems sehen, nicht unberechtigt sind (cf. Skuttnabb-Kangas 1984). Hier würde dies bedeuten, daß die katalanische Heimsprache, die die Kinder vor ihrer Einschulung im Familienkreis ungesteuert erwerben, die Alphabetisierung im Französischen hemmen könnte. Um diese These zu beweisen, bedürfte es schriftlichen Vergleichmaterials von rein frankophonen Schülern aus einsprachigen Gebieten, um zu sehen, ob deren Orthographie- und Grammatikprobleme im Durchschnitt geringer sind als die der zweisprachigen Kontrollgruppe. Gegenüber Dialektsprechern und bilingualen Individuen sind seitens der assoziativen Psychologie zahlreiche Vorurteile sogar in bezug auf ihre Fähigkeiten im logischen Denken und auf ihre psychosoziale Entwicklung vorgebracht worden (Jespersen 1922, Epstein/Galí 1931, Lambert/Peal 1962). Adler (1977) und auch Romaine (1989) informieren über zahlreiche Experimente, die Monolinguismus mit einer höheren Intelligenzleistung korrelieren wollen. Weinreich (1953: 117) meint allerdings, daß "die negativen psychologischen Auswirkungen der Zweisprachigkeit nicht bewiesen worden sind". Eine Klärung dieser psycholinguistischen Komponente war im Rahmen meiner Untersuchung leider nicht möglich.

Um die langfristigen Überlebenschancen des Katalanischen besser einschätzen zu können, muß man auch sehen, wie groß die Bereitschaft des dominierenden ausschließlich frankophonen Bevölkerungsanteils (hier 77%) ist, das Katalanische zu erlernen. Unter ìausschließlich frankophonî verstehe ich diejenigen Individuen, die nach Selbstaussage das Katalanische nie verwenden und auch höchstens über rudimentäre Kenntnisse verfügen. 32% der Frankophonen sind gewillt, das Katalanische zu erlernen, vorwiegend aus kulturellen oder traditionellen Gründen. Der Gedanke, dabei auch den effektiven Kommunikationsradius zu erweitern, tritt hinter dem folkloristischen Element in den Hintergrund. Dabei spielt wahrscheinlich die Tatsache, daß ja alle Sprecher der B-Sprache auch über Kenntnisse der A-Sprache verfügen, eine große Rolle: Kommunikation mit Einheimischen ist daher ohnehin möglich. Die einseitige Assimilationspflicht wird somit nicht in Frage gestellt. 29,7% lehnen es ab, das Katalanische zu erlernen, aus denselben Gründen, die auch Berkenbusch (1981: 70) angeführt hat: "les arguments négatifs se basent sur la crainte d'être limité en parlant le catalan et sur l'ambition d'internationalité."

Betrachtet man die Befragten in ihrer Gesamtheit, erhält man folgende quantitative Daten: 40% der Informanten des CBM zeigen eine positive Einstellung gegenüber Regionalsprachen im allgemeinen, 30% eine negative. Nur 14% sprechen sich für eine Einführung des Katalanischen als Schulpflichtfach aus. Wiederum spielt hier wie am LND die Angst vor schlechten Zensuren eine übergeordnete Rolle, denn um die Schriftkompetenzen ist es ja selbst im Französischen bei vielen nicht gut bestellt. Und auch für die Einführung als Amtssprache können sich nur 19% begeistern. Nicht alle, die sich gelegentlich des Katalanischen bedienen, sehen also eine gesetzliche Förderung als notwendig oder sinnvoll an: Der status quo wird verteidigt.

3.5 Rolle des Bildungswesens

Die immense Bedeutung des Erziehungswesens für die Überlebenschancen von Minderheitensprachen im allgemeinen wird an Klassifizierungsversuchen der Sprachen multilingualer Länder über die Verwendung der B-Sprache(n) in schulischen Einrichtungen, wie sie u.a. von Desheriev (1973) vorgeschlagen wird, deutlich hervorgehoben. Auch in der GIDS-Skala ist die Intensität der Vermittlung der Minderheitensprache in der Schule ein entscheidender Faktor bei der Zuordnung zu den Graden 6 bis 4 (cf. Fishman 1991).

Den Lehrern kommt also gegenüber den Jugendlichen die Funktion zu, die Versäumnisse des Elternhauses aufzufangen und das Bewußtsein für die Katalanität zu stärken. Meine Umfrageergebnisse haben gezeigt, daß die heutige Jugend zwar von zuhause aus noch über passive Kenntnisse des Katalanischen verfügt, aktive Kenntnisse vor allem im Bereich der Schriftsprache aber erstmalig in der Schule vermittelt werden. Die frappierenden Unterschiede zwischen den aktiven Schreibkenntnissen der Schüler mit und ohne Katalanischunterricht sprechen für sich. Aufgrund der Vernachlässigung des Katalanischen im Elternhaus müsse man den "trasllat de llengua" von der B-Sprache zur A-Sprache, welcher seinerzeit ja auch durch Schulgesetze (Loi J. Ferry von 1882) herbeigeführt wurde, wieder rückgängig machen, so Puig i Moreno (in: Treballs de Sociolingüística Catalana =TSC 2/1979: 121).

Meinen Ergebnissen zufolge beschränkt sich im häuslichen Bereich die Kommunikation auf Katalanisch meist auf Gespräche mit den Großeltern, da vor allem die Eltern, die ins Erwerbsleben integrierten Vertreter der mittleren Generation, nicht bereit oder nicht fähig sind, selbst Katalanischkenntnisse an die Kinder weiterzugeben. Im Gegensatz zu den spanischen Gebieten, wo es darauf ankommt, hispanophone Zuwanderer für das Katalanische zu gewinnen, muß in Nordkatalonien die größte Überzeugungsarbeit vor allem bei der autochthonen jungen Bevölkerung geleistet werden, die zu einem Großteil noch der vom Elternhaus tradierten überholten Vorstellung anhängt, perfekte Beherrschung des Französischen und Leugnung der katalanischen Identität seien der Schlüssel zu sozialem Aufstieg. Zugezogene Frankophone hingegen interessieren sich zunehmend und mit guten Gründen für die Regionalsprache. Ihre aktive Performanz ist zwar im Vergleich zu Eingeborenen mit katalanischsprechenden Vorfahren gering, doch zeigen gerade sie eine hohe Bereitschaft, das Katalanische zu erlernen, da die ökonomischen und kulturellen Bindungen an den sprachpolitisch übermächtigen Süden an Bedeutung zunehmen.

Welch große Rolle die schulische Erziehung bei der Ausprägung solcher Einstellungen spielt, zeigt Puig i Moreno (in TSC 2/1979: 132): Nach einem pädagogischen Experiment zur Stärkung des Katalanischunterrichts im Schuljahr in vier verschiedenen nordkatalanischen Ortschaften war ein großer Teil frankophoner Eltern bereit, Katalanischkurse zu besuchen. Besonders in den kleineren Orten begannen auch die Kinder, mit gleichaltrigen Geschwistern und Freunden Katalanisch zu sprechen. Auch unter psychologischen Gesichtspunkten halte ich es für sinnvoll, den Jugendlichen, die versuchen, sich vom Elternhaus abzugrenzen, in der Schule identitätsstiftende Werte zu vermitteln. Dazu muß man beachten, daß das Katalanische im kulturellen Bereich (Theater, Musik und Heimatliteratur) einen bedeutend Aufschwung erfährt. Genau diese Tatsache wird oft als Beschränkung auf das folkloristische Element kritisiert. Doch ist es nicht neben der Sprache auch gerade die Kultur, welche in hohem Maße identitätsstiftend wirkt? Für einen reversing language shift zugunsten des Katalanischen ist es also nicht zu spät, wenn das Angebot des Katalanischunterrichts verstärkt wird und auch die Zahl der Schüler weiter zunimmt, die davon Gebrauch macht.


4 Longitudinalstudie am Lycée Lurçat 1980/1998

Der Sinn meiner Longitudinalstudie an einem weiteren Gymnasium in Perpignan lag darin, erstens Antworten auf die bisher vernachlässigten Fragen nach den Kenntnissen der Literatur, nach der passiven Sprachkompetenz und nach der Weitergabe des Katalanischen an die Kinder zu finden und zweitens anhand der Entwicklungstendenz der letzten zwei Jahrzehnte genauere Prognosen für das Fortbestehen des Katalanischen zu liefern. Die Ausrichtung der Untersuchung Berkenbuschs, mit deren Ergebnissen ich die meinigen verglichen habe, soll noch einmal mit ihren eigenen Worten (1981: 52) deutlich gemacht werden:
J'ai espéré trouver des traits généraux et des faits éclairants en comparant ensuite les résultats des différentes questions. Les comparaisons les plus intéressantes me semblent être les suivantes:
-entre l'origine et les attitudes
-entre l'âge et les attitudes
-entre le sexe et les attitudes
-entre les connaissances et les attitudes.
Zwecks möglichst genauer Vergleichbarkeit habe ich dieselbe Aufteilung der Informanten in verschiedene Kontrollgruppen vorgenommen, d.h. ich habe die Antworten der Lehrer getrennt von der der Schüler betrachtet und eine weitere Unterteilung gemäß der Dauer des Aufenthalts in den P.O. durchgeführt, d.h. gemäß Berkenbusch (1981: 54) unterschieden zwischen Personen, die
a) seit der Geburt in den P.O. wohnhaft sind,
b) solchen, die dort seit mehr als 10 Jahren leben
c) solchen, die vor weniger als 10 Jahren zugezogen sind.
Da mir in der Schülergruppe fast ausschließlich Material von Katalanischlernenden zur Verfügung steht, konnte ein Vergleich freilich nur mit den Schülern der Katalanischklassen des Schuljahrs 1979/80 stattfinden. Im folgenden stelle ich die interessantesten Ergebnisse aus dem Bereich der Einstellungsforschung und der passiven Kompetenzen von Lehrern und Schülern vor; die Variable des Geschlechts kann aus quantitativen Gründen nur innerhalb der zahlenmäßig stärkeren Schülergruppe diskutiert werden.

4.1 Vergleich der Resultate unter den Lehrern

Beginnen wir mit der Frage nach der individuellen Bewertung des Katalanischen. Berkenbusch forderte die Befragten auf, das Katalanische mit Adjektiven zu charakterisieren, während ich allgemeiner formulierte: "Quelle valeur affective le catalan a-t'il pour vous?" (cf. Fragebogen im Anhang). Teilt man die Antworten ein in die Kategorien: "positiv, gleichgültig und feindlich" (cf. Quasthoff 1973), so erhält man folgendes Bild: Berkenbusch konstatiert ein deutliches Übergewicht der positiven oder zumindest folkloristisch bewahrenden Stimmung, die sich in zehn verschiedenen Adjektiven niederschlägt, während nur zwei negativ belegte Begriffe vereinzelt auftreten. Die meisten Lehrer, die der Minderheitensprache gegenüber positiv eingestellt sind, gehören den Gruppen der Autochthonen und seit mehr als 10 Jahren in den P.O. Ansässigen an. Als Umkehrschluß gilt, daß unter den frisch Zugezogenen die meisten gleichgültigen und ablehnenden Stimmen zu vernehmen sind: "on s'aperçoit que les tendances hostiles et folklorisantes correspondent à l'ignorance ou au moins à un niveau très inférieur d'information" (cf. Berkenbusch 1981: 67).

Dasselbe gilt auch noch fast zwanzig Jahre später, denn in meiner Kontrollgruppe geben 83% der Autochthonen positive Werte (z.B.: langue de ma famille/cela me rappelle mon enfance/langue de notre nation qui a beaucoup souffert/ce n'est pas une langue régionale, mais une langue tout court/je suis contre une hiérarchisation des langues etc.) in bezug auf das Katalanische an, allerdings tun dies nur 33% der aus dem übrigen Frankreich Stammenden. Ausdrücklich feindliche Äußerungen habe ich bei keiner Person der Lehrergruppe finden können, allerdings haben sich insgesamt 33% einer Stellungnahme enthalten und somit Gleichgültigkeit bekundet. Es spricht sich auch niemand gegen eine Förderung von Regionalsprachen aus, die Mehrheit der Lehrer lehnt aber die Einführung des Katalanischen als Amts- und Pflichtsprache ab, denn man müsse der Bevölkerung die Wahl lassen. Man sieht, daß das Katalanische vor allem als Heimsprache toleriert wird, aber keine weiteren Schritte in Richtung einer Substitution des Französischen angestrebt werden.

Neben der Frage nach der Einstellung war den beiden Erhebungen auch die Frage nach passiven Lesekenntnissen und Kenntnissen der katalanischen Kultur gemeinsam. Berkenbusch testete die Lesekenntnisse anhand fünf typischer katalanischer Ausdrücke, die von Katalanophonen selbst als schwer übersetzbar eingestuft wurden (cf. 1981: 64). Ich ließ vier vollständige Sätze übersetzen, die ebenfalls zum allgemeinen Kulturgut (nova cançó, Literatur) gehören und starke emotionale Reaktionen auslösen. Berkenbusch konstatierte in der Lehrergruppe gute Kenntnisse bei 28/49 Personen (ca. 57%) und geringe Kenntnisse bei 7/49 Befragten (ca. 15%). Fast ein Drittel der Informanten verstand damals selbst geläufige katalanische Ausdrücke also nicht. In meiner Erhebung verfügen jedoch genau die Hälfte der Lehrer über hervorragende Lesekenntnisse: Alle vier kompletten Sätze wurden richtig verstanden. Ca. 30% haben drei Sätze richtig übersetzt. Lediglich 20% konnten offenbar mit dem geschriebenen Katalanisch nichts verbinden.

Diese Personen sind es auch, die dem Katalanischen gleichgültig bis negativ gegenüberstehen, während die anderen, die über gute Lesekenntnisse verfügen, sich für die Förderung von Regionalsprachen aussprechen und dem Katalanischen positive emotionale Werte beimessen. Grad der Sprachkenntnisse und Grad der Einstellung gehen hier - im Gegensatz zu den weiter oben diskutierten Schülergruppen, die noch ihre eigene mangelhafte Alphabetisierung im Katalanischen beklagen - Hand in Hand, da die interessierten Lehrer wohl noch im Erwachsenenalter das steigende Angebot an Katalanischkursen wahrgenommen haben. Will man aus diesen Ergebnissen nun eine Tendenz ablesen, so kann diese nur unter Vorbehalt formuliert werden, denn die Anzahl der Lehrer in meinem sample ist weitaus geringer als bei Berkenbusch (10 gegenüber 49). Unter Berücksichtigung dieser Problematik kann man nun festhalten, daß die passiven Katalanischkenntnisse innerhalb von zwei Jahrzehnten in der Gruppe gebildeter Menschen mittleren Alters rapide zugenommen haben. Was die Selbsteinschätzung der Kompetenzen angeht, so kann ich mich Berkenbusch (1981: 62) nur anschließen: "l'auto-estimation est à peu près correcte. Personne n'a éxagéré sa compétence, la majorité étant plutôt timide."

Auch die Kenntnisse der katalanischen Literatur sind beträchtlich gestiegen. Berkenbusch zählt in der Gesamtgruppe der Lehrer noch 65%, die keine katalanischen Dichter oder Schriftsteller angeben können. Nur 35% verfügten über mehr oder weniger ausgeprägte Kenntnisse der Literatur. Lediglich die Autochthonen konnten mehrere Namen nennen. Allerdings überwogen selbst in dieser Untergruppe die Informanten ohne jegliche Kenntnisse (14 gegenüber 10). Bei den frisch Zugezogenen war dieses Übergewicht noch deutlicher: Allein zwei Informanten nannten je einen Schriftsteller. Meine zahlenmäßig bescheidenere Kontrollgruppe kann quantitativ nur in ihrer Gesamtheit betrachtet werden: 6 von 10 Lehrern, die sich an meiner Umfrage beteiligten, nennen mindestens zwei Namen, einer nur Llull und lediglich drei Lehrer machen keine Angaben.

Das Verhältnis hat sich also umgekehrt: Zwanzig Jahre später weisen 70% der Kontrollgruppe Kenntnisse der Literatur auf. Auffällig ist ein Übergewicht traditioneller Autoren aus dem Mittelalter oder der Renaixença, der Hochblüte katalanischer Schriftkultur: Ramon Llull, Ausiàs March, Joanot Martorell, Jacint Verdaguer. Auch die modernen zitierten Autoren stammen vorwiegend aus dem Süden: Mercè Rodoreda, Quim Monzó, Gabriel Ferrater etc. An roussillonesischen Größen werden einzig der Soziolinguist Pere Verdaguer und die Dichter J.P. Cerdà und Joan Cayrol zitiert. Dies deutet darauf hin, daß sich das Roussillon geistig zunehmend der Generalitat anschließt, sich auf Vergangenes  beruft und eigene Autoren vielleicht als folkloristische Heimatdichter einstuft und nicht für zitierwürdig befindet. Diese Ergebnisse stehen in krassem Gegensatz zu Berkenbuschs Beobachtungen:

Les plus souvent cités sont les locaux à réputation établie [...] on constate l'absence des grands contemporains barcelonais [...], mais la présence assez complète des grands noms roussillonais (sic!) (1981: 68).
Zu diesem abnehmenden Gefühl des kulturell eigenständigen "Roussillonismus" haben sicherlich die enormen sprachpolitischen Umwälzungen in der Generalitat de Catalunya wesentlich beigetragen. Zum Zeitpunkt der Befragung Berkenbuschs war die Llei de Normalització Lingüística (1983) noch nicht verabschiedet. Die ersten offiziellen sprachpolitischen Zugeständnisse nach Francos Tod waren nur ein bzw. zwei Jahre zuvor in der spanischen Verfassung von 1978 und im Autonomiestatut von 1979 festgehalten worden (cf. Barrera i Vidal 1994: 46f.).

Durch die zunehmende Förderung von Sprache und Kultur im Principat erlebte gerade die Literatur eine enorme Ausstrahlung auf das Roussillon. Auch die stärkeren wirtschaftlichen Bindungen durch die Eingliederung Spaniens in die Europäische Union tragen ihre Teil dazu bei, daß sich das agrarisch geprägte Roussillon trotz Abgrenzungsversuche regionalistisch gefärbter Strömungen zunehmend am Zentrum Barcelona und nicht an Perpignan oder gar Paris orientiert. Kulturell und sprachlich wird von breiten Schichten eine pankatalanistische Ausrichtung vertreten, ohne jedoch für politische Unabhängigkeit von Frankreich zu plädieren. Diese hier ablesbare Haltung ist es auch, die der Strömung des "kulturalistischen Katalanismus" zugrundeliegt (cf. Hartmann 1980: 323).

Die Einstellung zu den Regionalsprachen und das Katalanitätsbewußtsein haben sich also maßgebend verbessert. Gerade die Lehrer haben im Rahmen der vorherrschenden Schulpolitik noch vor dem Zweiten Weltkrieg ganz entscheidend zur Diskriminierung alles Unfranzösischen beigetragen. Die jüngere Entwicklung, welche völlig konträr dazu verläuft, kann also nur optimistisch stimmen.

4.2 Vergleich der Resultate unter den Schülern

Wie auch in der Umfrage Berkenbuschs stammt die Mehrheit der von mir befragten Schüler aus der Region oder ist seit mehr als 10 Jahren in katalanischsprachigem Gebiet ansässig. 1981 sprachen 16/25 der befragten Schüler (=64%) gelegentlich Katalanisch, wie auch die Schüler des LND und es CBM zumeist mit Großeltern und Eltern. Erstaunlich ist jedoch, daß meiner Erhebung zufolge nur 46% der sehr ähnlich strukturierten Kontrollgruppe sich der B-Sprache bedienen; die Entwicklung der Einstellung unter den Lehrern zeigte eher eine positive Tendenz für den Erhalt des Katalanischen. Dieser Widerspruch beweist aber die theoretisch oft vorgebrachte Behauptung, daß Einstellung und Gebrauch zwei voneinander unabhängige Größen sind. Allerdings darf man das Ergebnis nicht zu negativ werten, da in meiner Befragung der Anteil der Frankophonen in dieser Gruppe mit 88,6% vergleichsweise hoch ist. Der Rest verteilt sich auf katalanische, spanische und arabische Muttersprachler. Besonders letztere lehnen das Katalanische vehement ab, die Frankophonen aber sind zu einem Großteil bereit, das Katalanische aktiv anzuwenden. In Abhängigkeit vom Geschlecht erhält man folgende Werte für den Gebrauch des Katalanischen:


Schlieben-Lange (31991: 141) weist darauf hin, daß Frauen "wesentlich mehr zu innovierendem, an die höheren Schichten angepaßtem Sprachverhalten neigen", was sie selbst (1984) ausführlicher, allerdings nur in bezug auf den Sprachkontakt zwischen Dialekt und Hochsprache, untersucht hat. Ninyoles (1972) konstatiert ein solches weibliches Verhalten aber auch in Kontaktsituationen zwischen eigenständigen Sprachen. Diese These vom innovierenden weiblichen Sprachverhalten steht im krassen Gegensatz zum althergebrachten Gemeinplatz vom sprachlichen Konservatismus der dörflichen Frau, welcher in der Dialektologie lange Zeit verbreitet war und u.a. von Jaberg/Jud (1928) und noch Pop (1950) vertreten wurde. Heutzutage überwiegt nach einigen einschlägigen Arbeiten Labovs aus den Siebziger Jahren die Auffassung, daß Frauen eher als Männer dazu neigen, sich an Prestige-Varietäten zu orientieren und Hyperkorrektismen zu verwenden.

Aus oben angeführter Tabelle ist bereits ersichtlich, daß die soeben zitierten Meinungen meine Ergebnisse teils stützen, teils widerlegen. Somit scheint nach wie vor keine eindeutige Klärung der Kontroverse möglich. Es gibt zwar in meinem sample mehr Jungen als Mädchen, die sich der B-Sprache bedienen, und die ausschließlich männliche Verwendung unter Bekannten mag vielleicht ein Hinweis auf eine "peer group" sein. Andererseits sind es gerade im familiären Bereich überwiegend die Mädchen, welche das Katalanische anwenden. Auch die Resultate Berkenbuschs stützen die Zitate nicht, denn es gibt in ihrem sample keine "différences générales dans les opinions des hommes et des femmes" aber: "ses (sic!) seules deux voix qui qualifient le catalan comme patois ou mélange proviennent des femmes" (1981: 59). Dies mag vielleicht ein Grund sein, warum auch bei den Mädchen meines samples das Katalanische vorwiegend im häuslichen Bereich anzutreffen ist.

Außerdem bezeichnen sich in meiner Untersuchung nur 66% der Mädchen als bilingual, gegenüber 80% der Jungen, was ebenfalls auf den niedrigeren Stellenwert des Katalanischen beim weiblichen Geschlecht schließen läßt, denn die Selbsteinschätzung als bilinguales Individuum beruht auf persönlichen Einstellungen und Empfindungen gegenüber den Sprachen in Kontakt und ist zudem eine Frage des Prestiges. Dies würde wiederum die Behauptung Schlieben-Langes stützen, daß Frauen zunehmend zur Aufgabe einer Minderheitenvarietät tendierten. Ein Grund hierfür könnte darin liegen, daß die Präsenz der Frauen im Erwerbsleben noch immer nicht so selbstverständlich wie die der Männer ist und sie sich die typischen Bereiche, in denen die Beherrschung der A-Sprache erforderlich ist, noch erkämpfen müssen, was besonders in ländlich-konservativ geprägten Gebieten wie dem Roussillon der Fall ist. Doch in einer Gruppe von Schülern müssen auch die männlichen Jugendlichen erst noch ihren Platz in der Gesellschaft finden. Aufgrund dieser Widersprüche habe ich untersucht, welche Einstellungen Jungen und Mädchen dem Katalanischen gegenüber demonstrieren und aus welchen Gründen sie bereit oder nicht bereit sind, die autochthone Sprache an die nächste Generation weiterzugeben.

In den drei Katalanischklassen des Schuljahres 1979/1980 sprach sich die überwältigende Mehrheit (22 von 25 Schülern) dafür aus, gerne Fremdsprachen zu lernen. Gründe für diese Einstellung wurden nicht erhoben. Noch deutlicher tritt diese in meinem sample zutage: zwanzig Jahre später behaupten an derselben Schule 25 von 26 Schülern, gerne Sprachen zu lernen, die Mehrheit begründet auch, weshalb: Es finden sich sowohl allgemeine Formulierungen als auch reflektierte Stellungnahmen zu dieser Frage. Im Vordergrund steht der Wunsch nach Kommunikation mit anderen Sprachgemeinschaften, vor allem auf Reisen. Die Öffnung anderen Kulturen gegenüber wird als Bereicherung empfunden, unabhängig vom Geschlecht der Befragten. Eine Hierarchisierung von Sprachen wird bei vielen Schülern deutlich, die zwar angeben, aus der politisch-kulturellen Notwendigkeit heraus die üblichen Schulsprachen gerne zu lernen, sich aber keine weiteren mehr aneignen zu wollen. Welcher Stellenwert speziell dem Katalanischen eingeräumt wird, soll im folgenden gezeigt werden.

In der Befragung Berkenbuschs äußerten sich ausnahmslos alle Befragten positiv zum Katalanischen oder maßen ihm zumindest einen folkloristischen Wert bei. Gemäß der Ergebnisse der beiden Lehrergruppen gilt es wohl als politisch korrekt, Minderheitensprachen in der Theorie denselben Stellenwert zukommen zu lassen wie den großen Staatssprachen, auch wenn freilich nicht alle, die die wachsende Bedeutung des Katalanischen anerkennen, sich selbst dieser Sprache bedienen. Besonders die damals am häufigsten zitierten Adjektive ("vivant", "expressif" und "riche") zeugen jedoch von dem reflektierten Bewußtsein, daß das Katalanische tatsächlich eine lebendige Sprache ist, die mit ihren reichen Ausdrucksmöglichkeiten also als Ausbausprache, die allen kommunikativen Anforderungen gerecht werden kann, angesehen wird. Das Katalanische wird von niemandem als vom Aussterben bedrohte Sprache der Alten eingestuft. Seine Bedeutung und sogar seine Nützlichkeit kommen zum Ausdruck in Äußerungen wie "utile", "culturellement important", "enrichissant". Die Jugendlichen waren also bereits vor zwanzig Jahren stolz auf ihre Regionalsprache, der sie auch großen emotionellen Wert beimaßen: "sentimentalement essentiel", "joli", "harmonieux", "une langue très pittoresque aux accents chaleureux" etc.

Die Tatsache, daß damals ausnahmslos alle Schüler der Katalanischklassen die Minderheitensprache als "Sprache" anerkannten, zeugt gerade in den Begründungen, die vornehmlich von weiblicher Seite geäußert wurden, von einem aufgeklärten linguistischen Hintergrundwissen. Die müßige sprachwissenschaftliche Diskussion um die Abgrenzung von "Dialekt" und "Sprache" wurde von den Betroffenen sehr kompetent geführt, verschiedene Kriterien wurden zurate gezogen, die aber alle nicht allein ausschlaggebend für die Entscheidung "Sprache oder Dialekt" sein können. Am ehesten treffen Äußerungen wie "une langue cela ne s'explique pas", die davon zeugen, daß die Problematik als solche durchaus erkannt wurde.

In meiner Erhebung von 1998 bietet sich ein ähnliches Bild: Die Schüler (23/26), die im Roussillon aufgewachsen sind und die katalanische Sprache von Kind an meist bei Nachbarn und Großeltern hören konnten, bezeichnen das Katalanische in ihren Äußerungen ausnahmslos als Sprache ("langue maternelle", "langue familière", "langue régionale" etc). Ich habe die Antworten auf die Fragen nach der Einstellung gegenüber dem Katalanischen in die Kategorien "wichtige Sprache", "eher unwichtige Sprache", "positive Einstellung" und "negative Einstellung" unterteilt und komme zu folgendem geschlechtsspezifischem Ergebnis:

60% der Jungen halten das Katalanische für eine wichtige Sprache im Hinblick auf das Berufsleben, da sie sich auch vorstellen können, im Principat zu leben und zu arbeiten. Dieser Blick auf den übermächtigen Süden ist auch an der intellektuellen, literarischen Orientierung der Lehrer deutlich geworden. Es sind jedoch nur 33% der Mädchen, die das Katalanische aus denselben Gründen für wichtig halten. Dies ist wiederum ein Hinweis, der die bereits vorgebrachte Behauptung Schlieben-Langes stützt, Frauen orientierten sich vornehmlich an der A-Sprache in Sprachkontaktsituationen.

Allerdings zeigen mehr Mädchen als Jungen, nämlich 52% gegenüber 40% beim männlichen Geschlecht, eine grundlegend positive Einstellung gegenüber dem Katalanischen, wobei folkloristische Elemente hier eine größere Rolle spielen. Die knappe Hälfte der befragten Mädchen gibt an, das Katalanische würde von der Jugend immer weniger gesprochen und schätzt es somit als Sprache der Alten ein, was aber in dieser Gruppe kein Grund dafür ist, sie ins Lächerliche zu ziehen und abzulehnen. Im Gegenteil: Die Mädchen bedauern den Verlust der Traditionen und wünschen, das Katalanische könne soweit wiederbelebt werden, daß es wie das Französische zu einer der "normalen" Umgangssprachen des Roussillon erstarke. Ich wage zu behaupten, daß die Mädchen dem Familienkreis, der Sprache und Tradition der Eltern und Großeltern, dem häuslichen Bereich einen enormen Wert beimessen und sich mit ihren Forderungen auf die Verbreitung und Erhaltung als Umgangssprache beschränken (cf. Pop 1953). Die Jungen hingegen denken mehr an die berufliche Zukunft, und hoffen, das Katalanische möge auch als offizielle Sprache, als Distanzsprache, als wirtschaftlich notwendige Sprache, zunehmend an Bedeutung gewinnen.

Was die Weitergabe an die Kinder betrifft, so fällt auf, daß sich die Mädchen über diese Frage weit mehr Gedanken machen als die Jungen. Die Mehrheit der künftigen Väter äußert sich hierzu nur knapp mit Worten wie "on verra plus tard" oder "cela dépendra d'eux". Die künftigen Mütter jedoch äußern begründete Meinungen und sind sich ihrer Erziehungsprinzipien schon heute bewußt, was ein weiterer Hinweis auf die oben festgestellte geschlechtsspezifische Rollenverteilung ist.  Die Hälfte der von mir befragten Mädchen (10/21) ist sich sicher, das Katalanische an ihre Kinder übermitteln zu wollen, um die Kultur, Sprache und Tradition der Vorfahren im Sinne eines Reversing Language Shift (cf. Fishman 1991) wiederzubeleben (3/21), die eigene Heimsprache wie selbstverständlich fortzusetzen (2/21) oder den latenten Bilinguismus zu fördern (3/21). Berufliche Perspektiven für die Kinder spielen bei der Entscheidung für die Heimsprache nur bei einem befragten Mädchen eine Rolle. Ein kleiner Teil ist noch unentschieden: 4/21 Mädchen würden das Katalanische zwar gerne aus den genannten Gründen weitergeben, befürchten aber, selbst der Sprache nicht ausreichend mächtig zu sein, was ein weiterer Hinweis sowohl auf das mangelnde Selbstbewußtsein der potentiellen Katalanischsprecher als auch auf den nicht als ausreichend effektiv empfundenen Katalanischunterricht innerhalb des französischen Erziehungswesens ist.

Somit stelle ich im Einklang mit den Ergebnissen Berkenbuschs fest, daß sowohl Frankophone als auch Katalanophone, die ihren Lebensmittelpunkt im Roussillon sehen, keinerlei Vorbehalte gegenüber dem Katalanischen haben und wünschen, daß es in Zukunft noch an Bedeutung zunehme. Die Entwicklung unter den aufgeklärten Abiturienten verläuft also in derselben Richtung weiter, die Abkehr vom auto-odi der unteren Bildungsschichten setzt sich konsequent fort.

Nur drei Mädchen halten das Katalanische nicht für wichtig, da sein Gebrauch im Schwinden begriffen sei oder zeigen ganz offen eine eher feindselige Einstellung gegenüber der Regionalsprache. Ihre ablehnende Einstellung kann eindeutig mit ihrer Herkunft korreliert werden: Die drei Mädchen, die sich als einzige dem Katalanischen gegenüber negativ äußern, stammen alle aus dem Maghreb. Von Geburt an zweisprachig (mit Eltern und Großeltern sprechen sie nach eigenen Angaben Arabisch) fühlen sie sich mit ihrem eigenen Sprach- und Kulturkonflikt wohl überfordert. Sie sind damit beschäftigt, ihre eigenen Wurzeln zu leugnen, um sich in die französische Gesellschaft zu integrieren, was ihnen, vorsichtig formuliert, besonders als Mädchen Schwierigkeiten bereiten dürfte (Jungen aus dem Maghreb sind in meinem sample auch zu finden. Sie stehen dem Katalanischen aber genauso aufgeschlossen gegenüber wie autochthone Franzosen und Katalanen). Sie stammen zudem ausnahmslos aus sozial niedrigen Schichten und sehen somit wahrscheinlich das Französische als wichtiger für den sozialen Aufstieg und den Erfolg im späteren Leben an als das Katalanische. Der Erwerb perfekter französischer Sprachkenntnisse steht wie bei den Fallbeispielen kastilischsprachiger Einwandererkinder in Bourg-Madame im Vordergrund.

Betrachten wir abschließend die Lesekompetenz und die Literaturkenntnisse der Schüler des Lycée Lurçat in ihrer Entwicklung. Berkenbusch (1981: 109) konstatierte "de bonnes et très bonnes connaissances du catalan chez 20 personnes [sur 25, C.N.] et une connaissance des filles nettement supérieure à celle des garçons". Die Darstellung der Lesekenntnisse beschränkt sich bei Berkenbusch auf quantitative Daten, was die Möglichkeit einer Prognose der Entwicklungstendenz und darüberhinausgehende Erklärungsversuche nur in geringem Maße erlaubt. Auch wird nicht deutlich gemacht, aufgrund welcher Kriterien die Einordnung der Befragten in die Kategorien (sehr gute, gute und wenig Kenntnisse) vorgenommen wird. Die Bewertung bleibt somit hochgradig subjektiv, was einen qualitativen Vergleich der Kompetenzen von 1980 und 1998 erschwert. Die Kenntnisse der katalanischen Literatur vermerkte Berkenbusch durchweg positiv: 24 von 25 Schülern konnten mindestens drei katalanische Schriftsteller nennen, wobei ebenfalls die Mädchen sich leicht gegenüber den Jungen absetzten.

Auffällig ist bei der Betrachtung der Literaturkenntnisse, daß im Vergleich zu den Lehrern, die sich auf Autoren aus der katalanischen Vergangenheit, der Hochblüte katalanischer Schriftkultur im Mittelalter und der Renaixença, berufen, bei den Schülern schon vor zwanzig Jahren zeitgenössische katalanische Autoren eine wesentlich größere Rolle spielen, allerdings auch mit überwiegender Orientierung zur Generalitat. Häufig genannt wurden von den Schülern im Jahre 1980 Vertreter der nova cançó wie Llach und Raimon, welche wohl im Elternhaus eine große Rolle spielten. Auch heute (1998) stehen fast ausschließlich Persönlichkeiten dieses Jahrhunderts auf der "Hitliste" der Informanten. Nach einer Phase der Stagnation der literarischen Produktion in der Regionalsprache (zwischen der Renaixença und der Nachkriegszeit) werden die zeitgenössischen Kulturleistungen wieder als vollwertig anerkannt, die Katalanen gelangen zu einem neuen Selbstbewußtsein, besonders was die Schriftlichkeit angeht.

Bestätigen konnte ich die von Berkenbusch vorgebrachten geschlechtsspezifischen Thesen, daß Männer der Regionalsprache einen höheren emotionalen Wert (1981: 58) beimessen, die tatsächlichen Kenntnisse bei den Frauen allerdings ausgeprägter sind (1981: 110). Dies zeigt sich in der geschlechtsspezifischen Auswertung meines samples daran, daß Männer eher dazu neigen, ihre Kenntnisse zu überschätzen (2/5), Frauen hingegen ihre im Schnitt besseren Kenntnisse häufig unterschätzen (10/21). Auch insgesamt gesehen hat die Zahl derer, die ihre Kenntnisse zu gering einstufen, zugenommen (10/26). Dies jedoch als zunehmenden auto-odi oder mangelndes Selbstbewußtsein zu interpretieren, halte ich aufgrund der auch in ihrer Tendenz durchweg positiven Ergebnisse der Einstellungsforschung für falsch. Es erscheint mir hingegen logisch, daß mit zunehmendem Interesse für den Katalanischunterricht, steigenden Schülerzahlen sowie dem zunehmendem Wunsch nach Alphabetisierung in der Regionalsprache auch die eigenen Ansprüche der Betroffenen an ihre Sprachbeherrschung gestiegen sind. Dieses Bewußtsein zeugt also davon, daß sich ein Großteil der Jugendlichen nicht mehr mit einer Beschränkung auf die häusliche Oralität zufrieden gibt, sondern durchaus einen symmetrischen Bilinguismus für die Zukunft anstrebt.


5 Zusammenfassung

5.1 Ergebnisse

Nach der Darlegung der wichtigsten Ergebnisse meiner Studie kann ich mich der Beobachtung Berkenbuschs (1981: 119), das Alter spiele als Sozialvariable eine eher untergeordnete Rolle, durchaus anschließen: ìon constate des différences d'attitudes moins considérables entre professeurs et élèves en général qu'entre les élèves de catalan et les élèves d'allemandî. Dasselbe gilt auch in meiner Arbeit für die enormen Unterschiede zwischen den Schülern der Katalanischklassen der befragten Lycées und den Gesamtschülern aus Bourg-Madame, die keinen Katalanischunterricht in Anspruch nehmen.

Die Jugend ist gespalten: Pro-katalanische, gebildete Gruppen unter autochthonen Roussillonesen und Zuwanderern aus dem Principat orientieren sich an der überraschend positiven Einstellung der Lehrer und stecken sich darüberhinaus noch höhere Ziele, sehen im Bilinguismus Chancen auf dem sich internationalisierenden Arbeitsmarkt. Die Landbevölkerung aus Bourg-Madame, Jugendliche aus niedrigen sozialen Schichten, Jugendliche mit Schwierigkeiten mit der französischen Sprache, Jüngere, die als Ausdruck ihrer Pubertät sich besonders gegenüber dem Traditionellen, Konservativen abgrenzen wollen, sowie Zuwanderer aus dem weder katalanisch- noch französischsprachigen Ausland sind die aus katalanistischer Sicht problematischen Fälle. Sie sehen Bilinguismus als einen Luxus, den sich nur die gebildeten Eliten leisten können und kämpfen um ihren sozialen Aufstieg, in der Annahme, allein das Französische können ihnen dabei dienlich sein. Der Graben zwischen den sozialen Gruppen und den Jugendlichen verschiedener Bildungsniveaus erscheint ungleich größer als der zwischen mittlerer und junger Generation und kann nur durch gezielte Maßnahmen im Erziehungssystem überwunden werden. Viele Jugendliche sprechen von dem Wunsch, die Traditionen der Alten wiederzubeleben und die natürliche Muttersprache ihrer Vorfahren in den Status einer co-oficialitat zu erheben.

Die Ergebnisse haben ferner gezeigt, daß ein Großteil der Katalanisch lernenden Schüler das Überleben dieser Sprache befürwortet, obwohl für die überwältigende Mehrheit das Französische Muttersprache ist. Die positiven Einstellungen besonders unter den Schülern entsprechen in der Regel nicht den mangelhaften Schriftkompetenzen. Dies bedeutet, daß viele Schüler die mangelnde Alphabetisierung in einer Sprache, die für sie oft den emotionalen Stellenwert einer zweiten Muttersprache einnimmt, beklagen. Sie äußern auch offen ihren Mißmut gegenüber dem französischen Erziehungssystem. Fehler und Interferenzen sind eingehend analysiert und erklärt worden. Sie beruhen auf der Tatsache, daß die gesprochene Varietät des català septentrional von der Schriftnorm des català central abweicht. Bei den Lehrern ist die Selbsteinschätzung der Kenntnisse realistischer, positive Einstellungen können mit guten Kompetenzen korreliert werden, da sie aufgrund ihres höheren Alters mehr Zeit auf die Erlernung der Sprache verwenden konnten. Die passiven Lesekenntnisse liegen in allen Gruppen deutlich über den aktiven Kompetenzen.

Die in der Einleitung formulierten Hypothesen bestätigten sich nur bedingt:

(1) Das starre Diglossie-Schema scheint sich aufzulösen, das Katalanische bewegt sich tendenziell weg von einer Heimsprache der autochthonen Landbevölkerung, und auch sind es nicht nur die Alten, die von der Sprache Gebrauch machen. Viele Jugendliche verwenden sie im Umgang mit Gleichaltrigen.

(2) Richtig ist, daß sich die meisten Jugendlichen mit der Vergangenheit des Landes, der Sprache und der Kultur identifizieren und die Sprache der Großeltern als schützenswertes Kulturgut an kommende Generationen weitergeben wollen, unter der Voraussetzung, daß sie selbst sie ausreichend beherrschen. Durch den verstärkten Katalanisch-Unterricht besonders in den Städten sind die Schriftkompetenzen gestiegen, was im Vergleich der Schüler- mit der Lehrergruppe deutlich wurde. Als wahr stellte sich auch die These heraus, das Katalanische sei für die Jugend von heute überwiegend Zweitsprache - der Anteil der Muttersprachler ist im Schwinden begriffen.

(3) In demselben Maße, wie das Katalanische in dörflichen Gegenden an Bedeutung verliert - hier ist der "auto-odi" am größten, wie die Ergebnisse aus Bourg-Madame zeigten - wächst sein Prestige in den Städten, in den intellektuellen und kulturellen Zentren des Landes, was meine These von der modernen Bildungszweisprachigkeit stützt. Während die Dorfbevölkerung nach wie vor zu einem Großteil davon überzeugt ist, ein minderwertiges patois zu sprechen und sich mit dem Französischen den sozialen Aufstieg sichern zu können, entdeckt die geistige Elite die Wurzeln neu und propagiert zunehmend das Ideal des Bilinguismus und des Bikulturalismus. Nicht haltbar ist hingegen die Vermutung, das Katalanische werde nicht als vollwertiges Kommunikationsmittel angesehen. Die überwältigende Mehrheit spricht von dem Wunsch, seine Kenntnisse zu verbessern, um ihr Idiom, das vorwiegend als "Sprache" verstanden wird, an kommende Generationen weitergeben zu können. Wenn diesem Wunsch von seitens des Erziehungswesens zunehmend entsprochen wird, so wäre das Überleben des Katalanischen im Roussillon in Wort und Schrift gesichert; die B-Sprache würde somit auf der Fishman-Skala (GIDS) einen Platz zwischen Grad 5 und 4 einnehmen können.

Aufgrund der sehr komplizierten und zunehmend heterogenen Bevölkerungsstruktur, die sich aus autochthonen Katalanen, autochthonen Frankophonen, zugewanderten Pensionären und Beamten aus dem Norden, Arbeitsimmigranten aus dem Principat, dem kastilischsprachigen Spanien sowie aus dem Maghreb zusammensetzt, wird deutlich, das sich die Sprachkontaktsituation des Roussillon ebenso wenig wie die der anderen katalanischen Länder in ein starres Schema pressen läßt. Fishmans Einteilung in A- und B-Sprache, die in der Vorkriegszeit sicher noch unkompliziert war, wird zunehmend fragwürdig und scheint zur Erfassung der Wirklichkeit nicht mehr ausreichend zu sein. Die individuellen Fallbeispiele zeigen, daß auch Fälle von Drei- und Mehrsprachigkeit keine Seltenheit sind. Auch die Korrelation "Französisch=schriftlich / Katalanisch=mündlich" ist nicht mehr eindeutig gegeben, sondern variiert in den einzelnen Bevölkerungsgruppen. Die Motivation der Zuwanderer, Katalanisch zu lernen, hängt von ihrer Herkunft ab: Frankophone aus dem Norden zeigen sich aufgeschlossener als Immigranten kastilischer oder arabischer Muttersprache, was sicher damit zusammenhängt, daß sie die A-Sprache des Landes bereits beherrschen, letztere sich allerdings zwei neuen Sprachen gleichzeitig ausgesetzt sehen und somit überfordert sind.

5.2 Offene Fragen

Die Beschränkung auf die Erhebung mittels Fragebögen machte immer wieder deutlich, daß Einstellung und tatsächlicher Gebrauch der Sprache zwei voneinander unabhängige Größen sind. Alle Ergebnisse spiegeln lediglich die Selbsteinschätzung der Befragten wieder. Einzig die Kompetenzen "Lesen" und "Schreiben" konnten anhand von Sprachtests überprüft werden. Um die mündlichen Kompetenzen und vor allem die alltägliche Performanz zu ermitteln, sind Fragebögen nicht die geeignete Methode. Um diese Fragen zu klären, müßten Interviewaufnahmen vor Ort betrieben werden, der Forscher müßte sich weitestgehend in die Untersuchungsgemeinschaft integrieren.3 Auf die Sozialvariable des Alters konnte in meiner Untersuchung nicht ausreichend eingegangen werden: Die Kooperation der Familienangehörigen der Schüler war zu gering. Aufgrund des relativ kleinen samples ist die vorliegende Studie nicht zum Bereich der Großraumuntersuchungen zu zählen. Objektive Antworten auf die müßige Frage nach der genauen Zahl der Katalanischsprecher kann ein einzelner Forscher ohnehin nicht geben. In besonders kleinen Teilgruppen der Befragung wurde deshalb die qualitative Analyse von Fallbeispielen vorgezogen. Interessant wäre auch ferner eine komparative Betrachtung der Sprachkontaktsituation im Roussillon mit der des okzitanischen Sprachraums oder der anderen katalanischen Länder. Im Bereich der Politikwissenschaften wäre auch eine intensive Beschäftigung mit der modernen französischen Gesetzgebung wünschenswert, die die jüngsten Diskussionen um die Problematik der Regionalsprachen untersucht und somit an die diachronische Arbeit von Haas (1991) anknüpfen könnte. Es bleibt zu beobachten, wie die französische Politik auf die zunehmenden Forderungen nach Regionalisierung reagieren wird und wie sich diese in den Kontext eines zusammenwachsenden Europas einbetten können.

Anmerkungen

1 Diese Studien sind Teil meiner Magisterarbeit, die in den Jahren an den Universitäten Toulouse und Tübingen unter Betreuung von Jean-Louis Fossat und Brigitte Schlieben-Lange entstand. Theoretische linguistische und historische Ausführungen möchte ich hier nicht wiederholen, um den vorgesehenen Rahmen dieses Beitrags nicht zu sprengen. Daher verweise ich auch auf meinen Vortrag (cf. Noufal, im Druck), den ich 1997 bei Romania I in Jena gehalten und in dem ich u.a. den Fishmaníschen Diglossie-Begriff und seine Graded Intergenerational Disruption Scale erläutert habe, welche meiner praktischen Arbeit zugrunde liegen (cf. Fishman 1991).[Zurück]

2 Über die Kontroverse um die geopolitische Begriffsbestimmung informiert Bernardó (1988:136ff.) [Zurück]

3 Solche Fallstudien sind ebenfalls in der Form von Magisterarbeiten und Dissertationen beispielsweise von Hartmann (1980), Klempt (1990) und Péresse (1995) durchgeführt worden. Über den Stand der Veröffentlichung von Examensarbeiten zu katalanischer Sprache, Literatur und Politik informiert in unregelmäßigen Abständen die Zeitschrift für Katalanistik (hrsg. von T. Stegmann und B. Schlieben-Lange)[Zurück]


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Anhang

Fragebogen am Lycée Notre-Dame de Bon Secours und am College de Bourg-Madame (Dez. 1996): "Enquête sur les connaissances et l'emploi du catalan en Pyrénées-Orientales (66)"

I. Dates personnelles

Année de naissance............................................lieu de naissance.....................................................
Lieu de résidence...................................depuis quand?......................................................................
Où avez-vous passé la plus grande part de votre vie?.........................................................................
Lieu d'origine du père..................................................de la mère.......................................................
Ma formation (mettez une croix derrière la mention qui correspond):
sans bac_____lycée professionnel______lycée général______titre universitaire_____
Ma profession:
sans____agriculture/pêche_____gastronomie/tourisme____artisanat_____industrie_____
commerce____médecin____enseignement____Elève____Etudiant_____
autre (précisez s.v.p.)..........................................................................................................................
profession du père........................................de la mère.......................................................................
 

II. Questions sur la langue

ma langue maternelle............................................langue maternelle du père.....................................
quelles langues avez-vous apprises après l'acquisition de la langue maternelle?
français____catalan____occitan____espagnol____italien____anglais____allemand____
autres.............................................................................................................................................
vous considérez-vous bi- ou plurilingue? Oui____Non____
Quelle langue employez-vous aujourd'hui:
le plus souvent..............................................le plus aisément............................................................
au travail____/à l'école____/ la fac____:.........................................................................................
en famille quand vous parlez à vos enfants...................................frères et súurs..............................
père...................mère....................grand-parents..........................autres (précisez svp).....................
entre copains, collègues, amis.............................avec des inconnus...................................................
en  faisant les courses..................................en reglant des affaires administratives...........................
Avez-vous appris à l'école le catalan____l'occitan____?
En quelle langue vous-a-t'on enseigné les matières non-linguistiques (maths, histoire etc.)?.............

III. Sondage d'opinions. Expression libre.

-Quelle valeur affective le catalan a-t'il pour vous? (p.ex.: langue maternelle, familière, soutenue, je voudrais l'apprendre, rejet, indifférence)
-Que pensez-vous de la tendance à revitaliser les langues régionales en Europe?
-Désirez-vous...que le catalan soit langue obligatoire aux écoles de Pyrénées-Orientales?
....qu'il soit langue officielle en Catalunya Nord? Serait-ce possible? Est-ce qu'il serait alors employé plus fréquemment dans la vie quotidienne?
 

IV. Examen du catalan

En jugeant moi-même mes compétences en catalan, je dirais que (mettez des croix):
 pas du tout    un peu    assez bien      parfaitement
je le comprends
je le parle
je le lis
je l'écris

Traduisez vous-même en catalan, le plus spontanément possible. Si vous ignorez le catalan, ne cherchez pas de traducteurs. Il s'agit d'évaluer vos propres compétences:
(Ich gebe hier die von mir erwarteten Musterlösungen im Kursivdruck an).

-Hier, je suis allée à l'école et Pierre m'y a accompagnée.
Ahir, vaig anar a l'escola i en Pere m'hi va acompanyar.
- La rose que mon mari m'a offerte ce matin est très belle.
La rosa que el meu marit m'ha ofert(e) aquest matí és molt maca.
- Jeudi dernier, je voulais acheter un kilo de raisins, mais la vendeuse m'a dit qu'il ne lui en restait plus.
Dijous passat volia comprar un quilo de raïms, peró la venedora em va dir que no li en quedava gens.
- Mon grand-père est devenu fou.
El meu avi s'ha tornat boig.
- Il ne me restent plus de chemises dans le tiroir, ma mère doit me les laver.
No em queda cap camisa en el calaix, la meva mare ha de rentar-me-les.
- Je veux que mes parents m'offrent une montre.
Vull que els meus pares m'ofreixin un rellotge.
- J'aurais voulu que mon petit-fils apprît le catalan.
Hauria volgut que el meu nét aprengués el català.
 

Fragebogen am Lycée Lurçat in Perpignan aus dem Jahre 1980 von Gabriele Berkenbusch (1981: 50f.): "Questionnaire"

1. Est-ce que vous habitez - Perpignan - Petite ville - Village?
2. Est-ce que vous habitez dans la région:
- depuis toujours   -depuis plus de 10 ans
-depuis plus de 5 ans   -depuis moins de 12 mois?
3. sexe:         âge:
4. Aimez-vous apprendre des langues? 5. Quelles langues parlez-vous?
6. Comprenez-vous le catalan? 1-2-3-4-5-6
7. Savez-vous le lire? 8. Savez-vous l'écrire? 9. Le parlez vous (sic!)?
10. Avec qui le parlez vous (sic!)? -grands-parents/parents/copains/voisins/ -
11. Où parlez-vous catalan? - chez-vous (sic!)/dans la rue/au café/au lycée/ -
12. Que veulent dire les expressions suivantes:
un amagatall -                        estar fart de -                    al repetell del sol -
un raig d'oli -                          es bestia com un coixí -
13. Comment trouvez-vous le catalan? Donnez-moi des adjectifs:
14. Est-ce que vous connaissez des écrivains qui ont écrit en catalan? Nommez-moi en quelques uns:
15. Dans quelle langue est-ce que:
-vous vous mettez en colère?     -vous dites des (sic!) gros mots?
-vous racontez des blagues?    -vous faites vos déclarations d'amour?
-vous parlez ou pensez quand vous êtes triste?      -vous rêvez?
16. Si vous ne parlez pas catalan ou très peu, est-ce que vous l'aimeriez apprendre?
oui  -  non  -  peut-être;   expliquez pourquoi:
17. A votre avis c'est un dialecte, un patois ou une langue? expliquez:
18. Savez-vous si le catalan est parlé en dehors de cette région ? où:
19. Quelle (sic!) sera l'avenir du catalan dans cette région?
- il sera important    - il se maintiendra tant bien que mal  - il disparaîtra avec le temps
- je ne sais pas    - ................
20. Quel avenir vous lui souhaiteriez?
21. Est-ce qu'il existe à votre avis une culture catalane?
22. Est-ce qu'il existe à votre avis une nation catalane?
23. Qu'est-ce que vous pensez de cette enquête?   - Remarques personnelles: (?) -
 

Fragebogen am Lycée Lurçat in Perpignan (März 1998), Constanze Noufal (Université de Tübingen):

"Enquête sur les connaissances et l'emploi du catalan en Pyrénées-Orientales"
Remarque: Les dates seront traitées de façon anonyme, ne servent que pour l'élaboration de ma thèse de mastère et se publieront seulement dans le cadre des sciences sociolinguistiques. Je vous prie d'y répondre franchement et de manière spontanée. Veuillez ajouter des feuilles ou tourner la page si vous voulez donner plus d'informations ou faire des remarques. Merci.
 

I. Dates personnelles

(1)Sexe................(2)Année de naissance..............................(3)lieu de naissance.....................................
(4)Lieu de résidence....................................................(5)depuis quand?...................................................
(6)Où avez-vous passé la plus grande part de votre vie?...........................................................................
(7)Indiquez à peu près le nombre d'habitants de cette ville/village...........................................................
(8)Lieu d'origine du père................................................(9)de la mère......................................................
(10)Ma formation achevée (mettez une croix derrière la mention qui correspond):
sans bac____bac professionnel_____bac général_____titre universitaire (lequel)_____
(11)Ma profession ou situation en ce moment:
sans____agriculture/pêche____gastronomie/tourisme____artisanat____
industrie____commerce____médecin____enseignement____élève____étudiant___
autre (précisez s.v.p.)......................................
(12)profession du père..................................................(13)de la mère......................................................
(14)formation du père.............................................(15)de la mère............................................................
 

II. Questions sur la langue

(16)ma langue maternelle..................................................(17)langue maternelle du père........................
(18)Quelles langues avez-vous apprises après l'acquisition de la langue maternelle, et de quelle manière (à l'école, en famille...)?
(19)Aimez-vous apprendre des langues étrangères? Voulez-vous en apprendre plus? Pourquoi?
(20)Vous considérez-vous bi- ou plurilingue? Oui____Non____
(21)Quelle langue employez-vous aujourd'hui (en France):
(22)le plus souvent.............................................(23)le plus facilement.....................................................
(24)au travail____/à l'école____/ à la fac____..........................................................................................
(25)en famille quand vous parlez à vos enfants.........................................................................................
(si vous n'en avez pas encore, voulez-vous leur parler en catalan plus tard? Pourquoi?)
(27)à vos frères et súurs.......................(28)père..........................(29)mère.................................
(30)grand-parents......................................................................................................................
(s'ils sont décédés, en quelle langue est-ce que vous leur parliez jadis?).......................................
(31)autres (précisez svp)..........................................................................................................
(32)entre copains, collègues, amis........................(33)avec des connaissances lointaines..............
(34)avec des inconnus, dont vous ne savez pas quelle est la langue maternelle..............................
(35)en  faisant les courses................................................(36)affaires administratives.................
(37)Avez-vous appris à l'école le catalan____l'occitan____?
(38)En quelle langue vous-a-t'on enseigné les matières non-linguistiques (maths, histoire etc.)........
 

III. Sondage d'opinions. Expression libre.

(39)Quelle valeur affective le catalan a-t'il pour vous? (p.ex.: langue maternelle, familière,  rejet, indifférence, intérêt à l'apprendre)
(40)Que pensez-vous de la tendance à revitaliser les langues régionales en Europe?
(41)Désirez-vous...que le catalan soit langue obligatoire aux écoles de Pyrénées-Orientales? Pourquoi?
(42)....qu'il soit langue officielle en Catalunya Nord? Serait-ce possible? Est-ce qu'il serait alors employé plus fréquemment dans la vie quotidienne?
(43)Est-ce que vous pensez que les Catalans sont une "nation"? Pourquoi?
 

IV. Connaissances de la culture catalane

(44)Donnez spontanément quelques notions de culture catalane (musique, repas, littérature...)
(45)Nommez quelques écrivains catalans.
(46)Qui est...Jordi Pujol           Jaume II.         Pompeu Fabra            Lluís Llach            Ramon Llull?
(47)Quel évènement célèbre-t'on le 11 septembre?
(48)Depuis quand le Roussillon appartient-il à la France?
 

V. Examen du catalan

(49)En jugeant moi-même mes compétences en catalan, je dirais que (mettez des croix):

pas du tout    un peu    assez bien      parfaitement
je le comprends
je le parle
je le lis
je l'écris

(50)Traduisez vous-même en français, le plus spontanément possible. Si vous ignorez le catalan, ne cherchez pas de traducteurs. Il s'agit d'évaluer vos propres compétences:

Plou i fa sol, les bruixes es pantinen
[Il pleut et le soleil brille, les sorcières se peignent]
I és que la llengua, la nostra llengua, és sagrada. Si no la salvem nosaltres, qui la salvarà?
[Et c'est que la langue, notre langue, est sacrée. Si nous ne la sauvons pas, qui la sauvera?]
Segur que tomba l'estaca, ben corcada deu ser ja, segur que tomba, ens anem alliberar....
[C'est sûr que le pilier va tomber, il doit être déjà très vermoulu, c'est sûr qu'il va tomber, nous  allons nous en libérer.]
Lluny, ben lluny, les veles blanques, semblen d'argent sobre el mar tant blau...
[Loin, bien loin, les voiles blanches paraissent d'argent sur la mer si bleue.]

(51)Traduisez spontanément en catalan.

[Übersetzungssätze decken sich mit dem Test der weiter oben zitierten Umfragen am LND und am CBM]. [Zurück]


Linguistik online 7, 3/00