Es war an einem Samstag Abend im Juli 2000, als ich mit einer Freundin einen Spaziergang auf dem Grazer Schlossberg machte. In diesen frühen Abendstunden schien mir Graz gespenstisch leer. Ich freute mich über den vertrauten Blick über die Stadt und über die herrliche Umgebung. Klare Luft, eine ausgezeichnete Sicht und ein strahlend blauer Himmel. "Gute Sicht?" wunderte sich meine Freundin. "So dunstig wie heute war es doch schon lang nicht mehr".
Da wurde mir bewusst, dass ich mit meinen Gedanken noch nicht ganz zu Hause war, doch leider hielt dieses Gefühl nur kurz an, schon nach wenigen Tagen fügte ich mich wieder in das Kleinstadtleben ein, der Trubel der Großstadt Beijing geriet mehr und mehr in Vergessenheit. Nicht in Vergessenheit geraten sind die Erfahrungen, die ich gemacht habe.
Im Februar 2000 hatte ich das Flugzeug Graz - Frankfurt, Frankfurt - Beijing bestiegen. Mit im Gepäck war ein Reisepass mit einem Visum für fünf Monate. Fünf Monate lang, von Ende Februar bis Ende Juni, würde ich an der Peking Universität (http://www.pku.edu.cn/eindex.html) als DaF-Praktikantin unterrichten. Im Studienjahr 1998/1999 hatte ich an der Karl-Franzens-Universität Graz den Universitätslehrgang Deutsch als Fremdsprache (http://www-gewi.kfunigraz.ac.at/ul daf/) absolviert. Teil des Lehrganges war ein mindestens 40 Unterrichtseinheiten umfassendes Praktikum, das an einer in- oder ausländischen DaF-Institution absolviert werden konnte. Vom Lehrstuhl Deutsch als Fremdsprache am Institut für Germanistik der Universität Wien (http://www.univie.ac.at/Germa nistik/dafwww/) wurde ein Praktikumsprogramm für Studierende des Faches Deutsch als Fremdsprache entwickelt, an dem sich Studierende der Universitäten Wien, Graz, Salzburg und Innsbruck beteiligen können. Ansprechpersonen für das Praktikumsprogramm am Institut für Germanistik der Universität Wien sind Dr. Renate Faistauer und Univ. Prof. Dr. Hans-Jürgen Krumm. Die Verwaltung des Programms erfolgt durch die Österreich-Kooperation (http://www.oek.at/), finanziell wird das Programm durch Praktikumsstipendien (plus Reisekostenzuschuss und Versicherung) seitens des österreichischen Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur (http://www.bmbwk.gv.at/) gefördert. Der besondere Reiz dieses Programms liegt im Angebot von Praktikumsplätzen auf allen fünf Kontinenten, insbesondere in Asien, Afrika und Südamerika. Den Praktikanten soll dadurch eine besonders intensive Fremderfahrung ermöglicht werden. Die Dauer des Praktikums beträgt drei bis fünf Monate. Während des Praktikums haben die Praktikanten die Möglichkeit, am Gastinstitut zu hospitieren, Deutschunterricht im Umfang von maximal 8 Unterrichtsstunden pro Woche zu halten und bei anderen Aufgaben des Gastinstitutes mitzuarbeiten. Meine Wahl war auf Beijing gefallen, und so kam ich Ende Februar 2000 in China an.
Die ersten Tage auf dem Campus waren spannend und schwierig zugleich. Das Studienjahr teilt sich in China in zwei Semester, das Wintersemester beginnt Anfang September und dauert bis Ende Jänner, das Sommersemester beginnt Mitte/Ende Februar nach dem Frühlingsfest, dem chinesischen Neujahrsfest, und dauert bis Anfang/Mitte Juli. Das Frühlingsfest ist ein traditionelles Familienfest, weshalb in dieser Zeit fast alle Studierenden und Lehrenden nach Hause fahren. Im ganzen Land gibt es ein bis zwei Wochen Ferien, und der Campus ist bis zum ersten Tag des neuen Semesters wie ausgestorben. Da ich noch in den Ferien, einige Tage vor Semesterbeginn, angereist war, waren fast alle Institutionen auf dem Campus (Universitätsbibliothek, Akademisches Auslandsamt, Germanistikinstitut) noch geschlossen. Also war ich gezwungen, die ersten Alltagsprobleme (Essen gehen, nach Hause telefonieren, einkaufen...) allein zu lösen. Als ich eine Woche später meine Betreuerin Qiu Ping, eine Studentin des dritten Jahrganges, kennen lernte, wurde das Leben in dieser Hinsicht leichter.
In den ersten Tagen erhielt ich von Frau Wang Yangsheng, der Leiterin des Germanistikinstitutes, meinen Stundenplan und einige Informationen zum Unterricht. Eine Woche später hatte ich meine ersten Stunden. In dieser ersten Woche begann ich, Kontakte zu knüpfen und den Campus und die Umgebung zu erforschen. Einer der spannendsten Momente dieser Woche war, als ich zum erstenmal durch das Südtor den sicheren Campus verließ und mich in die Terra incognita hinter den Campusmauern wagte. So aufregend diese Tage auch waren, am Anfang stellte ich mir öfters die Frage, auf was ich mich da eingelassen hatte, und mehr als einmal dachte ich daran, was mir ein italienischer Geschäftsmann mit Chinaerfahrung, den ich im Flugzeug kennen gelernt hatte, am Ende gesagt hatte: "O nuoti, o affoghi!" (Entweder du schwimmst, oder du gehst unter!)
In China Informationen zu sammeln ähnelt nämlich einem Puzzlespiel. Die einzelnen Teile liegen ungeordnet auf einem Haufen, es gibt keine Vorlage, und man weiß nicht, wo man die Suche beginnen sollte. Das jeweils benötigte Teil scheint verschwunden, und die Einzelteile wollen sich nicht zu einem Ganzen fügen. Auch Hilfe scheint es nur selten zu geben, denn nur wenige sind informiert und wenige scheinen wirklich für etwas zuständig zu sein. Planvolles Suchen und Finden scheint einem mitteleuropäisch denkenden Hirn unmöglich. Wenn man dann zufällig über Informationen stolpert, kann man sich noch nicht wirklich darauf verlassen. Viele ChinesInnen scheinen nämlich nach dem Motto zu leben: Besser eine falsche als gar keine Information. Anfangs ist es wirklich schwierig, mit dieser Informationspolitik zurechtzukommen, doch gezwungenermaßen gewöhnt man sich daran und lernt, damit zu leben.
Ein weiteres Problem ergibt sich dadurch, dass China in einem sehr schnellen Wandel begriffen ist. Was zutraf, als ich im Sommersemester 2000 dort war, muss in ein oder zwei Jahren nicht mehr stimmen. Auch bin ich sicher, dass ich viele Dinge nicht erfahren bzw. komplizierter als nötig erledigt habe, da ich aufgrund meiner fehlenden Chinesischkenntnisse oft einfach nicht richtig nachfragen konnte. Aus diesem Grund können sich auch in diesen Artikel falsche oder nicht mehr aktuelle Informationen eingeschlichen haben.
Die Universität Peking (Chin. Beijing Daxue, kurz Beida) liegt im Nordwesten der Stadt, im Bezirk Haidian. Der Bezirk Haidian wird auch als "zweites Silicon Valley" bezeichnet, da dort ein Computergeschäft nach dem anderen aus dem Boden schießt. Gleichzeitig ist Haidian der Bezirk, in dem sich ein großer Teil der mehr als 50 Universitäten und Hochschulen der Stadt befindet.
Die Beida ist eine Campusuniversität. Der Campus besteht aus einem nördlichen und einem südlichen Teil. Im südlichen Teil liegen Institute, Heime, Büroräume und alle nicht-universitären Einrichtungen, im Norden gibt es einen Park, kleine Wäldchen, die zu Spaziergängen einladen, und einige Seen, auf denen man im Winter sogar Schlittschuhlaufen kann. Zahlreiche chinesische Touristen kommen und besichtigen den Campus der Beida. Der Campus ist von einer Mauer umgeben, insgesamt gibt es sieben Tore, die abhängig von Jahres- und Tageszeit geöffnet bzw. geschlossen sind. Zwei der Tore, die übrigens rund um die Uhr bewacht werden, waren immer geöffnet. Da der Campus sehr groß ist, besitzt fast jeder ein Fahrrad. Der chinesische Mythos Fahrrad hat sich bestätigt. Auch wenn die Zahl der Pkws in den vergangenen Jahren stark zugenommen hat und Staus und Smog dadurch zu einem der größten Probleme der Stadt geworden sind, ist die Zahl der Fahrräder auf dem und außerhalb des Campus noch immer überwältigend groß. Ein Fahrrad zu kaufen bedeutet nicht nur, sich schneller und unabhängiger fortbewegen zu können, es bedeutet auch, sich in den chaotischen chinesischen Verkehr zu wagen, was am Anfang gewöhnungsbedürftig ist.
Wie bei den Campusuniversitäten im angloamerikanischen Raum ist auch an der Beida fast alles, was man zum Leben braucht, auf dem Campus erhältlich. Nicht nur die Studierenden, auch viele chinesische und ein Großteil der ausländischen Lehrenden wohnen dort. Auf dem und in unmittelbarer Nähe des Campus gibt es zahlreiche Mensen und Restaurants. Zu den weiteren nichtuniversitären Einrichtungen auf dem Campus zählen u.a. Supermärkte, Banken, eine Post, Cafés, Computerzentren und Copyshops, zahlreiche Sportanlagen, ein Krankenhaus, Hotels, Kongresszentren und Veranstaltungshäuser, in denen kulturelle Veranstaltungen stattfinden.
Die Beida nimmt unter den zahlreichen Universitäten des Landes eine Sonderstellung ein, sie gilt als eine der besten Universitäten des Landes. Wer an der Beida studiert bzw. dort unterrichtet, gehört zur Elite. Nicht selten ändert sich das Verhalten der Menschen schlagartig, und man wird mit großem Respekt behandelt, wenn man zu verstehen gibt, dass man an der Beida unterrichtet. Ein Beida-Ausweis öffnet Türen, die sonst verschlossen bleiben.
ChinesInnen, die an der Beida studieren, haben somit ausgezeichnete Aussichten auf einen guten Job, was in einem Land mit einer derart großen Bevölkerungszahl und einer derartigen Aufbruchstimmung von großer Bedeutung ist. Dementsprechend schwierig ist es aber auch, einen Studienplatz an der Beida zu erhalten. Nur die Besten werden aufgenommen, die Selektion erfolgt durch eine Studienberechtigungsprüfung. Um diese Prüfung gut zu bestehen, muss man bereits mit guten Noten maturiert haben. Um gut maturieren zu können, muss man eine gute Oberschule besuchen, um in eine gute Oberschule aufgenommen zu werden, muss man eine gute Mittel- und eine gute Volksschule besucht haben. Überzeichnet formuliert beginnt der Kampf um einen Studienplatz an der Beida bereits bei der Einschreibung in die Volksschule. Das ist jedenfalls der Eindruck, den ich im Gespräch mit den Studierenden gewonnen habe.
Im letzten Jahr der Oberschule bereiten sich die Studierenden auf die Studienberechtigungsprüfung vor. Im Sommer legen sie dann zuerst die Matura und bald darauf die Studienberechtigungsprüfung ab, die aus einer auf das angestrebte Studienfach abgestimmten Fächerkombination besteht. Abhängig von der bei der Studienberechtigungsprüfung erzielten Punktezahl erhalten die Studierenden einen Studienplatz an einer mehr oder weniger prestigereichen Universität. Eine Punktezahl, die zum Studium an der Beida berechtigt, reicht aber noch nicht unbedingt für das angestrebte Studienfach. Besonders begehrt sind derzeit Wirtschafts- und Rechtswissenschaften, weil sich dadurch die Chancen erhöhen, in einem Joint Venture oder im Ausland arbeiten zu können. Um an der Beida Wirtschaft oder Recht studieren zu dürfen, muss also eine besonders hohe Punktezahl erreicht werden. Die Folge ist, dass Studierende, die zwar genug Punkte erreicht haben, um an der Beida, nicht aber um das angestrebte Studienfach studieren zu können, auf ein weniger begehrtes Studium mit einer niedrigeren Punkteschwelle umsteigen. Zu diesen weniger begehrten Studien gehören Fremdsprachenstudien mit Ausnahme von Anglistik. Mehrere Sprachstudierende haben mir erzählt, dass sie ihr Studienfach nicht aus Liebe und Interesse zu Sprache und Literatur gewählt haben, sondern weil sie sich durch ihr Sprachstudium einen leichteren Zugang zu einer ausländischen Universität erhoffen, an der sie dann ihr ursprünglich angestrebtes Fach studieren möchten.
Wenn auch die Aussichten auf einen Job für Beida-Studierende nicht schlecht sind, so ist der Studienalltag weniger rosig. Untergebracht sind die Studierenden jeweils zu sechst in einem ca. 20m2 großen Zimmer in den Wohnheimen auf dem Campus. Privatsphäre gibt es in den Heimen fast keine. Nur die Allerwenigsten können sich ein Privatzimmer oder ein Zimmer in einer WG außerhalb des Campus leisten. Der Tagesablauf der Studierenden ist streng geregelt. Unterricht gibt es von 8:00 bis 12:00, von 14:00 bis 18:00 und von 19:00 bis 21:00 Uhr. In diesen Stunden findet zwar nicht immer Unterricht statt, aber in den Freistunden, am Abend und am Wochenende wird gelernt, vorzugsweise in der Bibliothek, wo im Gegensatz zu den Heimen Ruhe herrscht und im tropischen Sommer eine Klimaanlage erträgliche Temperaturen schafft. Viele ziehen sich zum Lernen auch in die leeren Klassenräume zurück. Der Studienalltag dauert meist bis 22:00 Uhr, dann schließt die Bibliothek. Die Heime werden gegen Mitternacht geschlossen. Die einzige wirkliche Pause gönnen sich die Studierenden von 12:00 bis 14:00 Uhr. Diese zwei Stunden sind nicht nur für die Studierenden, sondern für alle ChinesInnen heilig. In diesen zwei Stunden hält das Land Siesta. Die Studierenden nützen diese Zeit zum Schlafen, Waschen, Spazieren gehen oder um Sport zu treiben.
Die schwierigen Rahmenbedingungen und die Entbehrungen, die chinesische Studierende auf sich nehmen müssen einerseits und der Enthusiasmus, mit dem sie sich durch ihr Studium kämpfen andererseits, stimmen einen westlichen Studierenden nachdenklich.
Im Folgenden möchte ich einen Überblick über den Aufbau des Studienfaches Deutsch an der Beida geben. Die Informationen über den Studienaufbau und über die Prüfungsordnung des Faches Deutsch stammen aus persönlichen Gesprächen mit Studierenden und mit Deutsch-, Englisch- und ChinesischlektorInnen sowie aus der Prüfungsordnung für das Grundstudium im Fach Germanistik an Hochschulen und Universitäten in der Volksrepublik China, PGG-Ordnung (Probefassung), die ich von Dr. Detlef Gärtner, dem derzeitigen DAAD Lektor an der Deutschabteilung der Beida, erhielt. Leider konnte ich trotz wiederholten Nachfragens nicht in Erfahrung bringen, ob es weitere Prüfungsordnungen, Vorlesungsverzeichnisse, Studienpläne o.ä. auf Chinesisch, Englisch oder Deutsch gibt.
Deutsch kann an der Beida entweder als Hauptstudienfach, als Nebenstudienfach oder in einem nicht-universitären Kurs studiert bzw. gelernt werden. Deutsch als Hauptfach (Germanistik) wird an der Deutschabteilung der Fakultät für westliche Sprachen und Literatur gelehrt. Das Hauptstudium Deutsch (wie im Übrigen alle Studienfächer) ist an das angloamerikanische System angelehnt und besteht aus einem Bachelor-, einem Master- und einem PhD-Studium.
Der Bachelor wird nach vier Jahren verliehen, der Master nach drei weiteren Jahren. Um nach einem Bachelor zu einem Masterstudium an der Beida zugelassen zu werden, müssen die Studierenden gewisse Kriterien erfüllen (Notendurchschnitt, Einladung der Universität...). Außerdem muss eine Aufnahmeprüfung abgelegt werden, welche Studierenden, die bereits ihren Bachelor an der Beida erworben haben, erlassen wird. Die Zahl der Masterstudierenden ist verhältnismäßig gering. Im Laufe des Masterstudiums sind Auslandsaufenthalte in Deutschland oder Österreich möglich. Kontakte bestehen derzeit zur Universität Wien und zur Universität München. Im zweiten oder dritten Jahr des Masterstudiums schreiben die Studierenden ihre Magisterarbeit, die im Umfang ca. einer österreichischen Diplomarbeit entspricht. Nach dem Masterstudium besteht die Möglichkeit zum PhD-Studium, das meist zur Gänze an einer der Partneruniversitäten der Beida in Deutschland (z.B. an der FU-Berlin) absolviert wird. Ob es chinesische Studierende gibt, die ihr PhD-Studium in Österreich oder in der Schweiz absolvieren, konnte ich nicht in Erfahrung bringen.
Das Bachelorstudium
In das Bachelorstudium konnte ich aufgrund meiner Arbeit mit den Studierenden dieser Jahrgänge den bestem Einblick gewinnen.
Das Bachelorstudium dauert vier Jahre und umfasst ein zweijähriges Grundstudium und ein zweijähriges Hauptstudium. Die Lernziele für das Grundstudium sind laut Rahmenplan für das Grundstudium im Fach Deutsch an Hochschulen und Universitäten in der Volksrepublik China von 1990 die folgenden: "Dem Studenten sollen während seines Grundstudiums sprachliche wie landeskundliche Grundkenntnisse, Fertigkeiten des Lese- und Hörverstehens sowie Sprech- und Schreibfertigkeit vermittelt werden; dabei wird er zu sprachlicher und soziokulturell angemessener Handlungsfähigkeit in der deutschen Sprache (sprachkommunikatives Können) und zu selbständigem Arbeiten (Studierfähigkeit) geführt, so daß eine solide Grundlage für die weitere Ausbildung im Hauptstudium geschaffen wird." (PGG-Ordnung: 14-15). Abgeschlossen wird das Grundstudium nach vier Semestern mit einer landesweit einheitlichen Prüfung, die in der PGG-Ordnung beschrieben wird. Während im Rahmen des Grundstudiums nur sprachliche und landeskundliche Kenntnisse und Fertigkeiten vermittelt werden, kommen im Hauptstudium Lehrveranstaltungen aus den Bereichen Sprach- und Literaturwissenschaft sowie Übersetzen und Dolmetschen dazu. Das Hauptstudium wird im achten Semester durch eine derzeit noch nicht landesweit einheitliche Prüfung abgeschlossen. Eine solche landesweit einheitliche Prüfung befand sich zur Zeit meines Aufenthaltes jedoch in Ausarbeitung.
Stundenpläne
Leider konnte ich nicht in Erfahrung bringen, ob es Vorlesungsverzeichnisse oder Studienpläne (auf Chinesisch, Englisch oder Deutsch) gibt, in dem sich neue LektorInnen oder Studierende über das Studium und über Stundenpläne informieren können. Die Studierenden scheinen keinen Zugang zu einer Art Vorlesungsverzeichnis zu haben, da sie mir auf meine Fragen hin nicht sagen konnten, welche Lehrveranstaltungen sie im folgenden Jahr (und sogar im folgenden Semester) besuchen würden. Der Stundenplan für das jeweilige Semester wird erst zu Semesterbeginn ausgeteilt. Die Informationen, die ich hier anführe, stammen aus Gesprächen mit Studierenden der 2. und 3. Klasse. Sie haben mir auch dabei geholfen, die beiden unten angeführten Stundenplanbeispiele zu erstellen. Gespräche mit Studierenden der 1. und 4. Klasse haben sich nicht ergeben.
Von der 1. bis zur 4. Klasse besuchen die Studierenden nicht nur Lehrveranstaltungen aus DaF bzw. Germanistik, sondern auch andere Pflichtlehrveranstaltungen u.a. aus den Fachbereichen Chinesische Literatur, Philosophie, Politik und Wirtschaft, Politische Bildung, Sport, Englisch und EDV.
Der Stundenplan, den die Studierenden zu Semesterbeginn erhalten, ist für alle gleich und verpflichtend, es besteht nicht die Möglichkeit, den Stundenplan individuell zu gestalten. Auch gibt es meines Wissens nach keine Wahlfächer oder Wahlpflichtfächer. Es besteht allerdings die Möglichkeit, ein Nebenfach zu studieren. Für Germanistikstudierende ist dies Kunstgeschichte oder Wirtschaft, der Großteil der Studierenden wählt Wirtschaft als Nebenfach. Der Unterricht erfolgt von Montag bis Sonntag, an Samstagen und Sonntagen gibt es zwar weniger Unterricht, die beiden Tage sind aber nicht generell vorlesungsfrei (ausländische Lehrende, zumindest Lehrende aus Europa und Amerika, haben am Wochenende keinen Unterricht).
Stundenplan der 1. Klasse
Nach den Angaben meiner Studierenden umfasst der Unterricht in der 1. Klasse ca. 25 Semesterwochenstunden. Im ersten Jahr gibt es noch keinen Englischunterricht und keine Lehrveranstaltungen aus dem eventuellen Nebenfach. Zusätzlich zu den Lehrveranstaltungen aus Deutsch gibt es Lehrveranstaltungen zu Literaturgeschichte Chinas und Marxistische Philosophie.
Stundenplan der 2. Klasse
In der 2. Klasse umfasst der Unterricht ca. 40 Semesterwochenstunden (inkl. Nebenfach). Zum Deutschunterreicht kommen Englisch, Sport sowie Politik und Wirtschaft. Im Sommersemester des zweiten Jahres beginnen die Studierenden mit dem Nebenfach.
In den ersten beiden Jahren wird das Lehrwerk Grundstudium Deutsch verwendet. Dabei handelt es sich um ein vierbändiges Lehrwerk (kommunikative Methode), das eigens für das Grundstudium Deutsch in China entwickelt wurde. Jeder Band besteht aus Lehrbuch, Arbeitsbuch und detaillierten Lehrerhandreichungen. Die Autoren des Lehrwerkes sind Liang Ming, Michael Nerlich, Zhao Dengrong (der auch an der Beida unterrichtet) und Wang Shidan. Verwendet wird dieses Lehrwerk auch im Unterricht Deutsch als Nebenfach und in einigen nicht-universitären Deutschkursen.
Tabelle 1: Stundenplanbeispiel: 2. Klasse, Sommersemester 2000
8:00 - 9:50 | 10:10 - 12:00 | 14:00 - 15:50 | 16:10 - 18:00 | 19:00 - 20:50 | |
MO | Englisch | Deutsch (Lehrbuch) | Wirtschaft (Nebenfach) | ||
DI | Deutsch (Lehrbuch) | Deutsch (Lehrbuch) | Sport | Kunstgeschichte / Kultur (Nebenfach) | |
MI | Deutsch (Konversation, Hörverstehen) | Deutsch (Lehrbuch) | Deutsche Grammatik | Wirtschaft (Nebenfach) | |
DO | Politik u. Wirtschaft | Englisch | Wirtschaft (Nebenfach) | ||
FR | Deutsch (Leseverstehen) | Deutsch (Leseverstehen) | Wirtschaft (Nebenfach) | ||
SA | |||||
SO | Wirtschaft (Nebenfach) | Wirtschaft (Nebenfach) |
Stundenplan der 3. Klasse
Im 3. Jahr haben die Studierenden mit ca. 45 Semesterwochenstunden (inkl. Nebenfach) die meisten Lehrveranstaltungen. Die Zahl der Lehrveranstaltungen zur Sprachausbildung geht zurück, Sprach- und Literaturwissenschaft sowie Übersetzen und Dolmetschen kommen dazu. Im 1. und 3. Studienjahr finden am Semesterende Prüfungen aus den einzelnen Lehrveranstaltungen statt, im 2. und 4. Studienjahr findet eine aus mehreren Teilen bestehende Abschlussprüfung zum Grund- bzw. Hauptstudium statt.
Tabelle 2: Stundenplanbeispiel: 3. Klasse, Sommersemester 2000
8:00 - 9:50 | 10:10 - 12:00 | 14:00 - 15:50 | 16:10 - 18:00 | 19:00 - 20:50 | ||
MO | Englisch | Wirtschaftsdeutsch | Deutsche Literatur | Deutsche Literatur | ||
DI | Deutsch (Intensive Reading) | Deutsch (Intensive Reading) | Politische Bildung | Politische Bildung | Internationaler Handel | |
MI | Deutsch (Konversation) | Deutsch (Zeitungs-artikellesen) | EDV | EDV | Wirtschaft (Nebenfach) | |
DO | Deutsch (Sprach-wissenschaft | Englisch | Politik und Wirtschaft | Wirtschaft (Nebenfach) | ||
FR | Deutsch (Dolmetschen) | Deutsch (Übersetzen) | Wirtschaft u. Mathematik (Nebenfach) | |||
SA | Internat. Handel (Nebenfach) | |||||
SO | Mathematik (Nebenfach) |
Stundenplan der 4. Klasse
Zum Stundenplan der 4. Klasse konnte ich leider keine Informationen einholen. In der 4. Klasse muss auf jeden Fall eine Abschlussarbeit (im Ausmaß einer österreichischen Seminararbeit) geschrieben werden.
Deutsch kann an der Beida nicht nur im Rahmen des Germanistikstudiums, sondern auch im Nebenfach belegt werden. Die Kurse für Deutsch als Nebenfach gehen über vier Semester und belaufen sich jeweils auf 8 Semesterwochenstunden (4 Stunden Grammatik, 2 Stunden Hörverstehen, 2 Stunden Leseverstehen). Diese Deutschkurse sind für Studierende aller Studienrichtungen offen. Meinen Kurs Leseverstehen 4. Semester besuchten Studierende des 3. und des 4. Jahrganges sowie Masterstudierende.
Als Unterrichtsmaterial wird im 1. und 2. Semester im Grammatikunterricht das Lehrbuch Deutsche Sprachlehre für Ausländer von Schulz-Griesbach verwendet. In den Lehrveranstaltungen Leseverstehen werden Texte und Übungen aus dem bereits erwähnten Lehrwerk Grundstudium Deutsch verwendet oder es werden Texte aus anderen Lehrwerken von den Lehrenden selbst didaktisiert. Am Ende jedes der vier Semester gibt es eine Prüfung zu der Lehrveranstaltungen Grammatik, zu den Lehrveranstaltungen Lese- und Hörverstehen werden keine eigenen Teilprüfungen abgehalten.
Von vielen Universitäten werden neben den universitären Sprachkursen auch Kurse für Nicht-Universitätsangehörige angeboten. Zielgruppe dieser Kurse sind alle Interessierten, meist sind es ChinesInnen, die ein Auslandsstudium planen oder aus beruflichen Gründen ins Ausland reisen werden.
An der Deutschabteilung der Beida werden ähnlich den Vorstudienlehrgängen an den österreichischen Universitäten einjährige Deutschkurse im Ausmaß von ca. 26 Wochenstunden abgehalten. Auch bei diesen Deutschkursen kommt das Lehrwerk Grundstudium Deutsch zum Einsatz. Die Unterrichtsfächer sind u.a. Leseverstehen, Hörverstehen, Grammatik, Konversation, Landeskunde und Phonetik. Prüfungen aus den einzelnen Lehrveranstaltungen finden jeweils am Semesterende statt.
Die bereits erwähnte chinesische Informationspolitik bzw. meine anfängliche Unflexibilität in dieser Hinsicht erschwerten den Kursbeginn. Falsche oder widersprüchliche Informationen sowie ein Mangel an Kommunikation zwischen den Kollegen verunsicherten mich. So hatte ich vor meiner Abreise nur eine vage Vorstellung vom Inhalt meiner Lehrveranstaltungen (die Titel wurden mehrfach geändert), von den Unterrichtsmaterialien, von der Ausstattung der Unterrichtsräume, vom Niveau der Studierenden und von den Klassengrößen. Auch in China bekam ich vor Kursbeginn nur wenige stichhaltige Informationen, sodass ich ohne diese erhofften Informationen zu den ersten Unterrichtsstunden gehen und mir dort von den Studierenden das notwendige Wissen holen musste (Stundenpläne, Stellenwert meiner Lehrveranstaltungen, Inhalt der Lehrveranstaltungen, Unterrichtsmaterial, Namen anderer Lehrender, Kursorganisation, Semestereinteilung, Beginn und Ende der Lehrveranstaltungen, Ferien, Feiertage, Zwischen- und Endklausuren, u.ä.). Hier machte ich zum ersten Mal die Erfahrung, die sich im Laufe des Semesters immer wieder bestätigen sollte: Verlässliche Informationen (nach westlichen Vorstellungen) erhält man von Studierenden und von ausländischen Lehrenden aus anderen Sprachabteilungen, von denen viele mit ähnlichen Informationsproblemen kämpfen. So wurden muttersprachliche Deutsch- und Englischlehrer zu meinen wichtigsten Ansprechpersonen bei Problemen im Unterricht und für den Meinungsaustausch.
Das Germanistikinstitut befindet sich gemeinsam mit dem Romanistik- und dem Anglistikinstitut in einem Gebäude im Nordwesten des Campus. Dieses Gebäude (Chin.: min zhu lou) fungiert als eine Art Hauptgebäude, in dem sich Büros, Sekretariate, die Bibliothek der Germanistik u.ä. aber nur wenige Unterrichtsräume befinden. Der Großteil des Unterrichts findet in Unterrichtsräumen in verschiedenen anderen, über den ganzen Campus verstreuten Instituten statt. Im min zhu lou gibt es auch einen Fernsehraum, der einerseits für den eigenen Unterricht reserviert werden kann, und in dem andererseits am Abend vom derzeitigen DAAD-Lektor Dr. Detlef Gärtner Filme in deutscher Sprache gezeigt werden. Für den Sprachunterricht gibt es auch ein Sprachlabor, das sich allerdings nicht im min zhu lou, sondern in einem anderen Gebäude befindet. Die Klassenräume selbst sind sehr einfach ausgestattet, Wandtafel und Kreide sind die einzigen Lehrmedien, Diaprojektoren, Overheadprojektoren, transportable TV/Videogeräte gibt es in den Klassenzimmern nicht und können meines Wissens nach auch nicht ausgeliehen werden. Allerdings bekommen die Lehrenden vom Germanistikinstitut ein Radio mit Kassettenrecorder zur Verfügung gestellt.
Wie früher erwähnt befindet sich im min zhu lou die Bibliothek der Germanistik. Hier gibt es zwar eine Reihe von Lehrwerken für den DaF-Unterricht, der Großteil ist aber eher veraltet. Neuere Lehrwerke und Lehrwerke, die ich aus dem DaF-Unterricht in Österreich kannte, fand ich in der DAAD-Bibliothek auf dem Campus und in der Bibliothek des Goethe-Institutes. Die DAAD-Bibliothek auf dem Campus wurde im Laufe der Jahre von den DAAD LektorInnen an der Beida eingerichtet. Diese Bibliothek umfasst u.a. Literatur zu Sprachwissenschaft, Literaturwissenschaft, Deutsch als Fremdsprache und Philosophie, ferner Enzyklopädien, Nachschlagewerke zu verschiedenen Fachgebieten, Belletristik und zahlreiche Lehrwerke für den DaF-Unterricht. Das Goethe-Institut liegt ca. 20 Min. mit dem Fahrrad vom Campus entfernt. Es verfügt über eine sehr gut ausgestattete Bibliothek, in der auch viel Material für den DaF-Unterricht zu finden ist. Die DAAD-Bibliothek auf dem Campus und die Bibliothek des Goethe-Institutes sind auch die beiden Bibliotheken, welche die Studierenden für ihre Arbeit hauptsächlich konsultieren.
Wie im Praktikum vorgesehen, übernahm ich Lehrveranstaltungen im Ausmaß von 8 Semesterwochenstunden, 4 Stunden bei den Germanistikstudierenden im Hauptstudium (2 Stunden Konversation und 2 Stunden Zeitungsartikellesen) und 4 Stunden bei den Studierenden, die Deutsch im Nebenfach lernten (je 2 Stunden Leseverstehen). Zusätzlich dazu übernahm ich 4 Stunden bei den nicht-universitären Kursen (2 Stunden Konversation und 2 Stunden österreichische Landeskunde). In Bezug auf den Inhalt der Lehrveranstaltungen erhielt ich genauso wie Muttersprachler anderer Sprachabteilungen, die wie ich ein bis zwei Semester an der Beida unterrichteten, nahezu keine Vorgaben. Wir waren in der Unterrichts- und Prüfungsgestaltung völlig frei. In dieser Hinsicht wurde ich trotz meines Praktikantenstatus nicht anders behandelt als Muttersprachler mit Lehrauftrag.
Germanistik, Konversation, 3. Jahrgang
Der Kurs Konversation, 3. Jahrgang, begann in der ersten Semesterwoche. Insgesamt waren 15 Studierende in der Klasse plus ein Student der Rechtswissenschaften, der nebenbei Deutsch lernte. Das Niveau war ca. obere Mittelstufe, die Mitarbeit war sehr rege. Da ich zum Inhalt des Kurses keine Vorgaben erhalten hatte, probierte ich verschiedenste Unterrichtsformen aus. Die Antworten darauf waren recht unterschiedlich, Kommunikationsspiele kamen im Allgemeinen sehr gut an, verschiedene Formen des Geschichtenerfindens und -schreibens wurden von einigen positiv, von anderen negativ aufgenommen, wobei letztere fehlende Phantasie als Ursache nannten. Lieder, Sketche und Arbeit mit Hörtexten stießen auf reges Interesse.
Germanistik, Zeitungsartikellesen, 3. Jahrgang
Auch der Kurs Zeitungsartikellesen, 3. Jahrgang, begann in der ersten Semesterwoche, es war dieselbe Klasse wie beim Konversationskurs. Im Wintersemester hatte der Kursleiter mit den Studierenden verschiedene Texte aus deutschen Zeitungen gelesen. Er schlug mir vor, im Sommersemester nun Texte aus österreichischen Zeitungen zu lesen. Der Kurs wird zwar einerseits als Leseverstehenskurs bezeichnet, das Vermitteln von landeskundlichen Informationen war aber ein wichtiger Teil dieser Lehrveranstaltung.
Deutsch als Nebenfach, Leseverstehen, 1. Jahrgang
Die beiden Kurse für Deutsch als Nebenfach begannen erst in der zweiten Semesterwoche. Am Kurs Leseverstehen, 1. Jahr, nahmen am Anfang ca. 25 Studierende teil. Da es sich bei diesem Kurs aber nicht um ein Pflichtfach handelt, reduzierte sich diese Zahl im Laufe der ersten Wochen auf ca. zehn. Diese Studierenden lernten erst im 2. Semester Deutsch, in Bezug auf das Niveau bildeten sie noch eine sehr homogene Gruppe. Das Niveau war allerdings sehr niedrig, sodass ich den Unterricht anfangs fast ausschließlich auf Englisch h ielt. Erst gegen Ende des Semesters konnte ich den Unterricht teilweise auch auf Deutsch halten.
Dieser Kurs stellte besonders am Anfang einen krassen Gegensatz zu den Hauptfachkursen dar. Die Studierenden in den Hauptfachkursen hatten sich durch die DAAD-LektorInnen und die ÖsterreichpraktikantInnen bereits an muttersprachliche Lehrende gewöhnt und kommunikative Unterrichtsmethoden kennen gelernt. Die TeilnehmerInnen dieses Nebenfachkurses hingegen waren erst das erste oder zweite Jahr an der Universität, es herrschte eine eisige Atmosphäre, die ich auf die strenge Disziplin in chinesischen Lehrveranstaltungen und in den chinesischen Schulen zurückführte. Lernen bedeutet in China vielfach auswendig lernen, der Sprachunterricht ist sehr grammatikorientiert und auch das Chinesisch Lernen in der Grundschule, so wurde mir erzählt, basiert auf Nachsprechen und auswendig Lernen. Kommunikative und kreative Formen des Unterrichts fehlen größtenteils. Für die meisten Studierenden dieses Kurses war ich die erste muttersprachliche Lehrende überhaupt, dementsprechend respektvoll traten sie mir entgegen. Kommunikativen Unterrichtsmethoden, Übungen zum kreativen Schreiben und Spielen begegneten sie aber nicht mit Ablehnung, sondern mit großem Interesse und Enthusiasmus. Nachdem sie ihr anfängliches Staunen darüber, ihre Scheu und ihre Verlegenheit überwunden hatten, beteiligten sie sich aktiv und engagiert am Unterricht.
Deutsch als Nebenfach, Leseverstehen, 2. Jahrgang
Wie im Kurs Leseverstehen des 1. Jahrganges ging auch hier die Zahl der TeilnehmerInnen im Laufe der ersten Wochen zurück. Die TeilnehmerInnen lernten im vierten Semester Deutsch. Einige von ihnen studierten auch im Hauptfach eine Sprache und lernten im Nebenfach außer Deutsch noch eine weitere Sprache. Das Sprachniveau dieser Studierenden war beinahe so hoch wie das der Germanistikstudierenden im zweiten Jahr. Für andere hingegen war Deutsch die erste Fremdsprache überhaupt. Dementsprechend heterogen war die Gruppe, was den Unterricht sehr erschwerte.
Die nicht-universitären Kurse
Wie bereits erwähnt werden vom Germanistikinstitut auch nicht-universitäre Deutschkurse angeboten, die für alle Interessierten offen sind. Im Rahmen dieser Kurse konnte ich zwei Lehrveranstaltungen (Konversation und österreichische Landeskunde) übernehmen. Die KursteilnehmerInnen bildeten in Bezug auf Alter, Herkunft und Deutschniveau eine sehr heterogene Gruppe. Der jüngste Teilnehmer war 21, der älteste ca. 50. Einige der TeilnehmerInnen hatten soeben ein Studium in China abgeschlossen und warteten auf die Zulassung zu einer Universität im deutschen Sprachraum, um dort weiterstudieren zu können. Andere hofften auf eine Zulassung zu einer deutschen oder österreichischen Universität, um dort ihr erstes Studium beginnen zu können. Einige standen bereits im Berufsleben, und ihre Firmen hatten Kontakte/Partnerschaften zu deutschen oder österreichischen Unternehmen. So bereitete sich z.B. einer der Teilnehmer auf einen Aufenthalt in einer Firma in Linz vor, zwei andere, zwei Ärzte, arbeiteten in einem Krankenhaus, das eine Partnerschaft mit einer deutschen Klinik hatte.
Obwohl alle erst im Oktober 1999 begonnen hatten, Deutsch zu lernen, gab es im Februar bereits sehr große Niveauunterschiede. Dieser Nachteil wurde jedoch zum Teil durch die besondere Atmosphäre in der Gruppe ausgeglichen. Es gab einen sehr großen Zusammenhalt, denn der konkret bevorstehende Auslandsaufenthalt und der Druck, in kurzer Zeit ein möglichst hohes Sprachniveau erreichen zu müssen, schweißte die TeilnehmerInnen zusammen. Zusammenarbeit und gegenseitige Hilfe waren selbstverständlich, Motivation, Interesse, Neugier und Enthusiasmus der TeilnehmerInnen waren sehr groß, sie waren offen für alle Unterrichtsformen und nahmen Neues begeistert auf.
Auch außerhalb des Unterrichtes suchten diese Studierenden Kontakt zu mir und boten mir ganz konkret ihre Hilfe für das tägliche Leben an. Dass die Studierenden sehr hilfsbereit waren und auch privat Kontakt zu mir suchten, bemerkte ich im Übrigen in allen Kursen. Wenn ich im Alltag Probleme hatte, wenn ich Informationen oder Dolmetscher für Behördengänge brauchte, waren die Studierenden eine äußerst verlässliche Anlaufstelle. Auch für gemeinsame Freizeitaktivitäten zeigten sie großes Interesse. Ihre Neugierde, Offenheit und Hilfsbereitschaft waren größer als ich es je in Österreich oder in einem anderen Land erlebt hatte. In der Art und Weise, wie sie mir ihre Hilfe für die Bewältigung meiner Alltagsprobleme anboten, hatte ich erwartet, dass sie sich sehr bewusst mit den Schwierigkeiten auseinandersetzen würden, die sie im Ausland erwarten. Dies war aber seltener der Fall, als ich angenommen hatte. Nur in wenigen Fällen wurde ich nach Problemen wie der Anonymität an deutschen und österreichischen Universitäten oder dem Problem der Ausländerfeindlichkeit befragt, wobei ich allerdings nicht mit Bestimmtheit sagen kann, ob sie sich dieser Probleme nicht bewusst waren oder ob sie mit mir nicht darüber sprechen wollten.
Wie bereits eingangs erwähnt gehört zu den Zielen des Praktikumsprogramms, den PraktikantInnen eine intensive Fremderfahrung zu ermöglichen. Dies war auch einer der Gründe, warum ich mich für China entschieden hatte. Vor meinem Aufenthalt in Beijing war China für mich ein wirklich fremdes Land. Ich sprach die Sprache nicht, kannte das Land nur aus den Medien und zeigte kein besonderes Interesse dafür.
Die Erfahrungen, die ich machen konnte, waren vielfältig, es war Positives und Negatives dabei. Eine der Erfahrungen, die mich besonders nachdenklich stimmten, war die Sprachlosigkeit, die ich so häufig empfand. Es war, als ob eine unsichtbare Wand zwischen mir und dem Land liegen würde. Meine Mandarinkenntnisse beschränkten sich auf ein absolutes Minimum, sie reichten gerade aus, um meinen Alltag, wie z.B. das Bestellen in der Mensa, das Einkaufen im Supermarkt oder bestimmte Erledigungen auf Bank und Post, nach einem einprogrammierten Schema F zu meistern. Wurde ich gezwungen, dieses Schema F zu verlassen (wenn ich z.B. etwas Spezielles kaufen musste, Behördengänge zu erledigen oder auf der Bank etwas Komplizierteres zu tun hatte), so fühlte ich mich derart überfordert, dass ich es vorzog, meine und die Nerven meiner Gesprächspartner zu schonen und einen Studierenden als Dolmetscher mitnahm. Im Alltag von der Hilfe anderer abhängig zu sein, war eine ausgesprochen unangenehme und manchmal schwer zu akzeptierende Erfahrung.
Als belastend empfand ich auch den Umstand, dass es nicht möglich war, spontan Leute kennen zu lernen. Ich habe ChinesInnen Ausländern gegenüber als sehr aufgeschlossen empfunden, auf der Straße, in Bussen und Zügen wird man häufig angesprochen. Nach den ersten Fragen nach Herkunft und Aufenthaltsgrund in China waren meine Sprachkenntnisse aber erschöpft, und die Kommunikation brach zu meinem großen Bedauern ab. Dadurch blieb mir ein Einblick in das Leben von ChinesInnen, die ich auf Reisen traf, meistens verwehrt. Nur selten hatte ich das Glück, außerhalb des Campus ChinesInnen zu treffen, die Englisch oder eine andere mir vertraute Sprache konnten und mit denen ich über das Leben in China sprechen konnte.
Sich als offensichtliche Ausländerin ohne Mandarinkenntnisse alleine außerhalb des Campus oder auf Reisen zu bewegen, war nicht immer einfach. Man muss sich daran gewöhnen, sich sprachlos zu orientieren und nur mit Mimik, Gestik und Wörterbuch zu kommunizieren. Man muss sich daran gewöhnen, angestarrt und mehrmals am Tag fotografiert zu werden. Man muss sich allzu aufdringliche Händler vom Leib halten und um angemessene Preise feilschen. Ein einfacher Spaziergang durch die Stadt kann zu einem intensiven "Enthemmungstraining" werden. Das Faszinierendste daran ist, sich selbst zu beobachten, denn im Laufe der Zeit zeigt das Enthemmungstraining Wirkung und Hürden werden mit einer immer größeren Sicherheit überwunden.
Wenn ich auch nur einen winzigen Teil dieses riesigen und faszinierenden Landes kennen gelernt habe, kann ich heute doch sagen, dass China für mich kein weißer Fleck auf der Landkarte mehr ist. China hat Gestalt angenommen, ich verbinde Gefühle damit und es zeigt sich ein Interesse für Land und Leute, das ich vorher nicht gekannt hatte.
Zhao, Dengrong(1999): "Neue Tendenzen im Germanistikstudium in China". In: Raasch, Albert (ed.): Deutsch und andere Fremdsprachen - international: Länderberichte, Sprachenpolitische Analysen, Anregungen. Amsterdam u.a.: 53-58 (= Deutsch 3)
Linguistik online 9, 2/01
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