Ausgangs- und Zielsprachen im dynamischen Prozeß:

Analytische Dimension und historische Kontexte des Übersetzungsproblems


Im Berührungsbereich von Übersetzungs-wissenschaft und Kontaktlinguistik wird besonders die Frage der Folgen von Übersetzungen auf die jeweilige Zielsprache reflektiert (vgl. Neubert 1996): Schon die Luther-Bibel hat die Entwicklung des Deutschen in hohem Maß geprägt. Diese Frage nach der sprach-, kultur- und literaturgeschichtlichen Bedeutung von Übersetzungen stellt sich dabei immer wieder von neuem und auch die Situation der Ausgangssprachen ist hier einzubeziehen.

Wie können beispielsweise zukünftige Entwicklungen im Bereich von Ausgangs- und Zielsprachen aussehen, die sich im Zusammenhang von internationaler Verständigung, Verkehrsprachen und Übersetzungstätigkeit ergeben?

In den Bereichen des Austauschs auf politischer Ebene, der Wissenschafts- und Wirtschaftskommunikation mögen die Vorteile des Englischen als lingua franca noch zusätzliches Gewicht erhalten. Bedeutet dies für die Nationalsprachen - einschließlich des Englischen, das bei einer überwiegenden Zahl von Nicht-Muttersprachlern zu einem "Küchenenglisch" zu verkommen droht - eine zunehmende Verarmung in ihren Besonderheiten und Differenzierungs-spektren oder sind hier kompensatorische Entwicklungen beispielsweise im Bereich der Literatursprachen zu erwarten? Welche Konsequenzen werden sich weiterhin ergeben für die Erkenntnisdimensionen, die sich ja keineswegs ausschließlich auf den rationalen Ausdruck, sondern auch auf die "Sinnarchitektur" von Texten bezieht (vgl. Broch 1995[1944]).

Ein anderes Szenario kann sich ergeben, wenn etwa konnektionistisch fundierte Übersetzungssysteme die Konstruktion von überzeugenden automatischen Sprachübersetzungsapparaten schließlich doch noch möglich machen sollten - oder werden hier die Erwartungen wieder zu hoch geschraubt? Beispielsweise kann ein Argument für eine weiterhin kontinuierliche Pflege des Deutschen und anderer Nationalsprachen neben dem Englischen als internationale Wissenschaftssprachen darauf gegründet werden, daß eventuell in absehbarer Zeit verläßliche automatische Übersetzungen verfügbar seien: Da Bildungspolitik langfristig angelegt sein müsse, dürften die muttersprachlichen Wissenschaftssprachen, die über Jahrhunderte hinweg ausdifferenziert wurden, nicht leichtfertig aufgegeben werden. Denn ein späterer Wiederaufbau wäre nur unter großen Anstrengungen möglich (vgl. Hilberg 2000). Neue Kommunikationsoptionen im Zusammenhang maschineller Übersetzungen - Hilberg entwirft etwa die Utopie von Telefonen mit Übersetzungskompetenz - werden hier zur Begründung der Pflege nationaler Sprachvielfalt. Sie hätten damit Auswirkungen auf die Nationalsprachen als Ausgangssprachen von Übersetzungen.
Der Horizont möglicher Orientierungen in der Sprachkomparatistik, die Grundlagen und Folgen von Übersetzungen für Ausgangs- und Zielsprache berücksichtigt, soll in den Beiträgen des Themenheftes in theoretischer oder praxisfundierter Ausrichtung hinsichtlich sowohl grammatischer als auch pragmatisch-gesellschaftlicher Dimensionen untersucht werden. Auch Beiträge zu historischen Beispielen und ihren jeweiligen Bedingungen im Umfeld von Ausgangs- und Zielsprache sind willkommen.

Frist für die Einreichung von Beiträgen: 15. Januar 2004
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Literatur
Broch, Hermann (1995[1944]): "Technische Bemerkungen zur Übersetzung". In: ders.: Der Tod des Vergil. Frankfurt am Main: Suhrkamp, .
Hilberg, Wolfgang (2000): "Die babylonische Sprachverwirrung wird ein Ende finden - durch Technik und nicht durch das Diktat einer Einheitssprache". In: Deutsch als Wissenschaftssprache im 20. Jahrhundert. Vorträge des Internationalen Symposions vom 18./19. Januar 2000. Hg. von Friedhelm Debus, Franz Gustav Kollmann und Uwe Pörksen. Stuttgart: Steiner, .
Neubert, Albrecht (1996): "Übersetzen und Dolmetschen". In: Goebl, Hans/Nelde, Peter H. et al. (eds.): Kontaktlinguistik. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung. 1. Halbbd., Berlin/New York: de Gruyter, .