"Wenige Begriffe der Sprachdidaktik dürften so arglos und unbedarft aus anderen Denktraditionen übernommen worden sein wie jener des Spiels", so beginnt Dietmar Larcher (1992: 22) seinen Aufsatz über den Zweck der Spiele im Sprachunterricht. Der Begriff des Spiels wird von den meisten Leuten mit Kindern oder mit ihrer eigenen Kindheit verbunden. Der Spielbegriff erinnert sie in diesem Fall an etwas Unterhaltsames und Lustvolles und wird somit oft als Gegensatz zu wissenschaftlicher Ernsthaftigkeit und seriösem Lernen verstanden.
Nach üblicher Auffassung bezeichnet das Wort "Spiel" einerseits etwas Vorgegebenes, Fertiges - ein Ensemble von Regeln, häufig auch von Spielmaterial, und andererseits etwas Mögliches, einen immer neu zu vollziehenden Prozess, der den vorgegebenen Regeln folgt, in dessen Verlauf sie aber auch verändert, erweitert oder sogar zerstört werden können (cf. Mattenklott 1996: 344). Huizinga fasst die Merkmale des Spiels in der folgenden Definition zusammen:
Die Denktradition des Begriffs "Spiel" beginnt schon mit den Anfängen der Menschheitsgeschichte, aber mehr Bedeutung gewann er in der Philosophie der Aufklärung, in der das Spiel zum Gegenbegriff von Arbeit wurde. Seitdem haben sich viele Philosophen, Psychologen, Sprachforscher und Sprachdidaktiker mit der Erscheinung des Spiels auseinandergesetzt. Einen besonderen Platz im Bereich der Spielforschung nehmen die Sprachspieltheorien ein, die im Laufe der Geschichte entstanden und interpretiert worden sind.
Das bekannteste Sprachspielkonzept von Ludwig Wittgenstein () hat er in seinen "Philosophischen Untersuchungen" vorgestellt (cf. Wittgenstein 1971: 57, Mittelstraß 1996: 66f). Er verwendet den Terminus "Sprachspiel" für die Verwendung sprachlicher Ausdrücke, zusammen mit beliebigen, auch nicht-sprachlichen Handlungen. Die Sprache wird in verschiedenen Situationen unterschiedlich verwendet. Er betrachtet Sprache und Spiel als Analogie und behauptet, dass Regeln das Wesentliche am (Sprach)spiel seien. Unter dem Sprachspiel versteht er neue Zusammenstellungen alter Elemente, d.h. die Fähigkeit, mit Hilfe der Regeln neue Sätze, die man nie zuvor gehört hat, zu formulieren und zu verstehen (cf. Larcher 1992: 27). Die Regelhaftigkeit ist die Voraussetzung für die Verständigung mit Hilfe der Sprache. Im Grunde bezeichnet Wittgenstein als Sprachspiel alle Verwendungsformen der Sprache, die bestimmten Lebensformen entsprechen, z.B. befehlen, bitten, grüßen, fragen, erklären usw. Das Sprachspiel im Sinne Wittgensteins kann also auch als soziales Spiel verstanden werden, wenn die Regeln als gesellschaftliche Normen aufgefasst werden (cf. Glück 1993: 585, Haas 1990: 28).
Sigmund Freud () vermutet dagegen, dass unter der Oberfläche der Sprache uralte Triebkräfte verborgen sind, die in der Sprache des Traumes zum Ausdruck kommen (cf. Freud 1979, Larcher 1992: 28). Demnach sind sprachliche Kreativität und Sprachspiel laut Freud am meisten in der Symbolsprache des Traumes zu erkennen.
Freuds Theorie wird von Jacques Lacan () weiterentwickelt. Seine Sprachkonzeption dient als Grundlage einer Didaktik des Sprachspiels. Er löst sich von der Befolgung der Regeln und der biologischen Faktoren und stellt den Kontakt des Unbewussten mit dem Bewusstsein in den Mittelpunkt. Nach ihm ist das Unbewusste wie eine Sprache strukturiert und mit der Sprache spielen bedeutet für ihn, ihr zuzuhören, sich ihr anzuvertrauen, zu schauen, wohin sie trägt (cf. Lang 1986: 107, Widmer 1990: 42, Larcher 1992: 28f).
Seit den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts ist aus wissens-, kultur- und sozialtheoretischen Diskussionen deutlich geworden, dass es zum traditionellen Spielbegriff mehrere Variationen gibt und dass die gängigen Definitionen einer Überarbeitung bedürfen (cf. Moser 1992: 17). Man beginnt unter anderem Sprachspielkonzepte für die Fremdsprachendidaktik zu entwickeln. Erwähnt werden sollten an dieser Stelle Bernard und Marie Dufeu, die das Spiel ins Zentrum ihrer Sprachlehre stellen (cf. Larcher 1990, Dufeu 1992). Die Teilnehmer ihrer Kurse lernen mit sich selbst und mit der Sprache zu experimentieren, indem sie Sprachsituationen bewältigen müssen, die ihnen aufgrund ihrer sprachlichen Kompetenz eigentlich noch nicht zugänglich sind.
Ein anderes Konzept für den Fremdsprachenunterricht wird von Harald Weinrich vertreten. Er macht das Selbstverständliche und Formale im Sprachunterricht zum Ungewohnten und Überraschenden. Dadurch werden die Imagination und eigenes Denken angeregt. Nach Weinrich sei nur "von der Poesie zu lernen, wie die Imagination der Lernenden im spielerischen Umgang mit den strengen Strukturen der Sprache entzündet werden kann" (Weinrich 1985: 241).
An dieser Stelle soll erwähnt werden, dass im vorliegenden Aufsatz der Begriff des Sprachspiels nicht im Sinne von Wittgenstein, Freud oder Lacan verstanden wird. Ebenso sind hier nicht die zahlreichen Sprachlernspiele gemeint, die im Unterricht eine Tätigkeit oder einen Wettbewerb voraussetzen, d.h. allerlei Brett-, Karten- oder Bewegungsspiele, mit deren Hilfe bestimmte Sprachstrukturen eingeübt werden. Beispiele zu solchen Spielen sind aus reichlich vorhandenen Sprachspielsammlungen zu entnehmen (s. dazu z.B. Friedrich/Jan 1985, Schibor/Weichert 1985, Bohn/Schreiter 1989, Leimeier 1998, Weller 1999).
Unter dem Sprachspiel werden im Folgenden in erster Linie die sprachspielerischen Texte verstanden, die Anlass zum selbstständigen sprachlichen Entdecken und Experimentieren geben. Die folgende Definition von Ulrich soll verdeutlichen, was unter dem Sprachspiel im Kontext des Sprachunterrichts verstanden werden kann:
Wittgensteins, Freuds und andere Auseinandersetzugen mit Sprachspielen bleiben für den alltäglichen Sprachbenutzer auf der theoretischen bzw. unbewussten Ebene. Wenn man eine Fremdsprache lernt und lehrt, kommt man mit diesen Sprachspieltheorien zwar bis zu einem gewissen Grad in Berührung, sie spielen aber in der Fremdsprachendidaktik keine besondere Rolle. Das Sprachspiel nach Ulrichs Auffassung wird dagegen jedem Sprachlerner, sei es in literarischen Texten, in der Werbung oder einfach als experimentierende Sprachspielereien, begegnen. Im Folgenden wird der Versuch gemacht zu zeigen, wie man solche Art von Sprachspielen erkennen und im Fremdsprachenunterricht benutzen kann.
Für jedes Spiel braucht man gewisses Spielmaterial: Spielzeug, Spielplatz, Spielteilnehmer. Im Falle des Sprachspiels ist dieses Material die Sprache und ihre Botschaft. Das Material Sprache spielt dieselbe Rolle wie andere Spielmaterialien: einerseits fordert sie den Spielenden zum Formen und Verändern heraus, andererseits setzt sie ihm aber auch durch feststehende Regeln und Normen Widerstand entgegen. Durch das Spiel mit der Sprache wird deutlich, dass die Sprache nicht nur "ein in seiner vorgegebenen Gestalt akzeptiertes Mittel ist, um Außersprachliches zu transportieren" (Haas 1990: 248), sondern viel weitere Möglichkeiten und Erfahrungen bieten kann.
Wie es auch aus der Defintion des Sprachspiels von Ulrich hervorgeht, macht das Experimentieren mit der Sprache sie selbst zum Gegenstand der Betrachtung und Untersuchung, zum Handlungsobjekt. Das Ziel des Experiments ist herauszufinden, was die Sprache unter besonderen Umständen alles ist und vermag (cf. Ulrich 1999: 12). Die Sprachspiele tragen dazu bei, sich der sprachlichen Regeln, Strukturen und Konventionen bewusst zu werden und neue Möglichkeiten beim Umgang mit der Sprache zu entdecken.
In Anlehnung an Ulrich (1995: 145, 1999: 26) seien im folgenden die vier wichtigsten Merkmale des Sprachspiels vorgestellt. Diese vier Merkmale sind voneinander nicht völlig unabhängig, sie überlappen sich teilweise, sind aber bei jedem sprachspielerischen Text erkennbar vorhanden.
1. Intentionale Normabweichung bis hin zum Regelverstoß - sprachliche Regeln werden vor dem Hintergrund des bekannten Regelsystems zeitweilig außer Kraft gesetzt.
Obwohl die Sprachspiele sich von den sprachlichen Normen entfernen oder sie variieren, sind sie selbst nie regellos. Das Regelsystem der Sprache bleibt immer Ausgangsbasis, der Regelverstoß findet bewusst und absichtlich statt. Zur Veranschaulichung soll hier ein Gedicht dienen, das in den "Fliegenden Blättern", Band 45, erschien (cf. Grümmer 1985: 58).
Wie es mit Sicherheit deutlich geworden ist, beschäftigt sich dieses Gedicht satirisch mit der Erscheinung der trennbar und untrennbar zusammengesetzten Verben im Deutschen, die den Ausländern oft große Schwierigkeiten bereitet. In diesem Gedicht wird gegen eine grammatische Regel verstoßen, indem untrennbare Verben gewaltsam, aber bewusst auseinandergerissen werden. Damit das überhaupt geschehen und gelingen kann, muss die zugrunde liegende Regel zuerst gut bekannt sein. Im entgegengesetzten Fall ist eine Regelverletzung gar nicht möglich, es sei denn, es handelt sich um einen unabsichtlichen Fehler. Das Ergebnis ist im gegebenen Fall ein witziger und trotz vieler "Fehler" gut verständlicher Text, der zu eigenen Variationen, aber auch zum Nachdenken über den Sinn und Zweck der sprachlichen Regeln anregen kann.
2. Sprachstrukturelle oder kontextuelle Ambiguität - Sprachspiele schaffen gezielt Unklarheiten und Mehrdeutigkeiten.
Die sprachspielerischen Texte sind oft Fallen, die vom Leser oder Hörer Aufmerksamkeit, Konzentration und Nachdenken verlangen. Das Doppelbödige dieser Texte verlangt "ein hohes Maß an intellektueller Beweglichkeit und die Bereitschaft, gewohnten Boden zu verlassen" (Lypp 1993: 372). Das Verstehen wird bei sprachspielerischen Texten nicht als selbstverständlich vorausgesetzt. Wörter können außer den geläufigen auch ungewohnte und überraschende Bedeutungen haben oder in einem unerwarteten Kontext auftreten. So wird die sprachliche Fähigkeit geübt, einen Begriff von vielen Gesichtspunkten aus zu betrachten.
Ambiguität kommt sehr oft in Witzen, Anekdoten, Kinderreimen vor. Z.B. der folgende kurze Witz ist dadurch entstanden, dass wir unsere Alltagsrede oft abkürzen, da die Regeln der Konversation es uns gewöhnlich erlauben:
Hätte die Mutter im obigen Beispiel gefragt: "Während du diese löchrige Hose trägst?", wäre es zu diesem Missverständnis nicht gekommen. Andererseits kann man aber sicher sein, dass wir im Normalfall in dieser oder einer ähnlichen Kommunikationssituation nicht falsch verstanden werden können, da die meisten Menschen über gewisse Vorkenntnisse verfügen, die uns die zwischenmenschliche Kommunikation und das gegenseitige Verstehen erleichtern.
Auch der Reim von Hansgeorg Stengel dient dem gleichen Zweck der Ambiguität:
Obwohl am Anfang die Erwartung eines lyrischen Liebesgedichts aufgebaut wird, kommt am Ende die eigentliche, nicht so romantische Wahrheit zutage. Gespielt wird hier mit der Mehrdeutigkeit des Verbs 'sich lieben', das unter Umständen und abhängig vom Kontext sowohl 'sich selbst lieben' ala auch 'einander lieben' bedeuten kann. Die unerwartete Wende am Ende des Reimes verleiht ihm statt der an sich tragischen eine eher komische Wirkung.
3. Überraschung (Pointe) und Rätseleffekt - das Sprachexperiment kann überraschen, komisch wirken, einen Text bis zur Unverständlichkeit verrätseln.
Die typischen Rätseltexte sind Witze, Anekdoten, Aphorismen, aber genauso alle anderen Texte mit Pointen. Diese Texte beinhalten eine Lösung, die gefunden oder entdeckt werden soll. Dafür braucht man entweder entsprechende linguistische oder kulturelle Kompetenz oder sonstige Kenntnisse über einen gewissen Bereich. Es gibt Witze, die nur in ihrem Ursprungsland oder in der ursprünglichen Sprache verstanden werden können. Humor ist oft stark kulturell oder landschaftlich bedingt. So wie die Esten z.B. Witze über Letten, Russen und Finnen machen, sind in Norddeutschland die Ostfriesenwitze bekannt. Im folgenden Beispiel wird der Rätseleffekt durch ein Frage-Antwort-Spiel geschaffen:
Dieser Witz spielt mit der Bedeutung der phraseologischen Wendung 'etw. steht vor der Tür'. Die Phraseologismen bilden einen schwer erfassbaren Bereich für die Fremdsprachenlerner, weil sie nicht ohne weiteres auf eine andere Sprache zu übertragen sind. Auch diesen Witz kann man mit Sicherheit nicht in jede Sprache übersetzen, so dass die gewünschte komische Wirkung erhalten bleibt.
Ein anderes Beispiel von Christine Koller soll zeigen, dass der Rätselcharakter einem einfachen, fast nichtssagenden Text eine inhaltliche Aussage verleihen kann.
Mit Hilfe eines äußerst knappen Wortschatzes - es wird nur ein Vollverb und kein einziges Substantiv benutzt - wird eine ganze Geschichte erzählt. Obwohl es am Anfang scheint, dass es sich um die Konjugation des Verbs 'lieben' handelt, wird diese Illusion bald zerstört, indem eine andere semantische Ebene eingeführt wird. Das Ergebnis ist eine überraschende Wirkung, die durch die Hervorhebung der Personalpronomen durch Großbuchstaben und des letzten Satzes durch Klammern noch verstärkt wird. Man muss auch erwähnen, dass auch dieser Text bei weitem nicht jedem verständlich sein soll, er setzt eine gewisse Altersstufe und Lebenserfahrung voraus.
Die Rätselhaftigkeit bedeutet, dass ein Text Lücken oder Zwischenräume hat, die ausgefüllt werden müssen, damit sie verständlich sind. Es gilt dabei, "einem Text das zu entnehmen, was dieser nicht sagt (aber voraussetzt, anspricht, beinhaltet und miteinbezieht)" (Eco, zitiert in Dotzler 1999: 213). Das gleiche betrifft auch andere literarische Texte, wenn man sie versucht zu verstehen und zu interpretieren.
4. Konstituierung einer zusätzlichen Lesart/Aussage - das Sprachspiel kann der Sprache auch neue, zusätzliche Aussageweisen eröffnen, erweiterte Sinngebungen vornehmen.
Das Spiel mit der Sprache war schon in der Antike von Gelehrten und Philosophen hoch geschätzt. Es lässt sich zu der damaligen Vorstellung der Menschen zurückführen, dass die Sprache neben der Benennungs- und Verständigungsfunktion noch eine dritte Aufgabe hat: Medium zwischen Göttern und Menschen zu sein (cf. Ulrich 1999: 21). Seit dieser Zeit haben viele Dichter versucht, durch die Sprachspiele etwas Geheimes mitzuteilen und die in der Sprache verborgenen Informationen aufzudecken.
Das folgende Gedicht stammt von Adolf Glaßbrenner, adressiert an seine Zeitgenossen im preußischen Polizeistaat (cf. Grümmer 1985: 44f).
Die Anfangsbuchstaben der einzelnen Zeilen ergeben die eigentliche Aussage dieses Gedichts. Diese Sprachspielform nennt man Akrostichon und sie hatte im Altertum eine magische Funktion - die mittelalterliche lateinische Literatur ist voll von Akrostichen, teils hervorgehoben, teils versteckt. Auch in Sowjetestland wurde diese Form ab und zu benutzt, um die strenge Zensur zu überlisten.
Neben den Akrostichen gibt es aber mehrere andere Spielformen, die auf unterschiedliche Weise eine zusätzliche Aussage oder Sinngebung beinhalten. Dazu gehören auch viele Texte der Konkreten Poesie und die Figurengedichte. Das folgende scherzhafte Figurengedicht vom unbekannten Verfasser (cf. Grümmer 1985: 167) hat die Form eines Hammers - die Schlussfolgerungen bleiben dem Leser überlassen.
Die Tendenz, Sprache in der Dichtung anders zu gebrauchen als in alltagssprachlicher Rede, hat die Menschheit seit je fasziniert. Dank dieser Erscheinung steht uns ein reichlicher Nachlass sprachspielerischer Texte zur Verfügung. Wie diese Texte unter dem didaktisch-methodischen Aspekt zu gebrauchen sind, soll im nächsten Abschnitt am Beispiel des Fremdsprachenunterrichts dargestellt werden.
Über die Zielstellung der Sprachspiele im Fremdsprachenunterricht herrschen verschiedene Meinungen: Einerseits dienen sie zweifellos zur Entspannung und Auflockerung im Unterricht, andererseits aber auch zur Entwicklung des sprachlichen Könnens. Den kreativen Sprachspielen wird oft vorgeworfen, daß sie keine besondere Entwicklung bringen oder die Beurteilungskriterien für sie nicht zu formulieren sind. Bohn und Schreiter heben dagegen viele Vorzüge von Sprachspielen vor:
Man kann eine Vielzahl von Gründen nennen, warum ein spielerischer Sprachgebrauch zu einem motivierenden Deutschunterricht führen könnte. Die folgende Aufzählung enthält einige von diesen Gründen:
Als eine der wichtigsten Funktionen der sprachspielerischen Texte kann die Anregung zum Nachdenken über die Sprache, zur Sprachreflexion hervorgehoben werden. Die Sprachspiele unterstützen die Theoriebildungen über Sprache, weil man mit der Sprache spielend am besten Distanz zu ihr gewinnt. Diese Distanz ist eine Voraussetzung für die sprachanalytischen Prozesse, die vor allem im Fremdsprachenunterricht von großer Bedeutung sind. Das bloße Zeigen des Richtigen durch den Lehrenden führt nicht zu einem eigenständigen und autonomen Lernen. Man lernt das Sprachsystem am besten kennen, indem man sich intensiv oder auch kritisch mit ihm auseinandersetzt. Dabei leisten die sprachspielerischen Texte eine nicht zu unterschätzende Hilfe.
Die sprachspielerischen Texte sind je nach der Art sowohl im Anfänger- als auch Fortgeschrittenenunterricht einsetzbar. Sowohl bei Kindern als auch Erwachsenen kann durch Sprachspiele die natürliche Wissbegierde, die Neugier, die Lust zur Nachahmung und zum kreativen Umgang mit der Sprache angeregt werden, so dass einerseits das vorhandene Spielbedürfnis befriedigt wird und andererseits die Auseinandersetzung mit der Sprache Spaß macht.
Unter den phonetischen Sprachspielen werden die Spiele mit Wortlaut und Sprachklang verstanden. Diese Sprachspiele schärfen die Aufmerksamkeit für die Färbungen der Vokale und Eigenheiten der Konsonanten im Deutschen.
Im Phonetikunterricht spielt die Artikulationsbasis der Muttersprache eine besonders große Rolle. Die Muttersprache beeinflusst die Aussprache der Zielsprache und in meisten Fällen ist der fremde Akzent unvermeidbar. Damit den Lernenden eine möglichst perfekte Aussprache vermittelt und beigebracht werden kann, müssen zuerst die Hauptunterschiede in der Artikulation der Mutter- und Zielsprache festgestellt werden, damit sie mit entsprechenden Übungen behandelt werden können. Dies ist selbstverständlich in nationalhomogenen Gruppen am besten zu realisieren. Wenn die estnischen Lernenden z.B. keine Probleme mit der Vokallänge oder der Aussprache von Umlautvokalen [S], [ø:], [y] und [y:] haben, so stellen für die russischen Muttersprachler diese phonetischen Erscheinungen die umfangreichste Fehlerquelle dar. Den estnischen Muttersprachlern bereiten dagegen z.B. die vier Varianten der deutschen Zischlaute und das stimmlose [f] oft Schwierigkeiten. Daraus kann man die Schlussfolgerung ziehen, dass der Lehrende im Phonetikunterricht außer den Grundprinzipien der deutschen Aussprache auch die Muttersprache(n) der Lernenden berücksichtigen und mit potentiellen Problemen gezielt und bewusst umgehen soll.
Die sprachspielerischen Texte, die sich mit den phonetischen Erscheinungen auseinandersetzen, bieten im Fremdsprachenunterricht gute Möglichkeiten, sich der lautlichen Beschaffenheit der zu erlernenden Fremdsprache bewusst zu werden und die eigenen phonetischen Fehler durch gezieltes Üben vermeiden zu lernen.
Zu den Spielen mit Laut und Klang gehören Texte, die sich meistens auf einen bestimmten Laut oder eine Lautgruppe beschränken. Die einfachste Form haben die Zungenbrecher, das sind Sätze oder kurze Reime, in denen alle Wörter mit dem gleichen Konsonanten oder der gleichen Konsonantengruppe beginnen.
Auch für das Einüben der Vokale lassen sich passende Sprachspiele finden. Der folgende Text von Hans Manz zeigt in geschickter Weise, welche Ausdrucksfärbung den langen Vokalen in der Kindersprache oder in Alltagssituationen verliehen wird.
Neben der Möglichkeit, lange Vokale zu üben, vermittelt dieser Text den Lernenden auch landeskundliche Informationen über den emotionalen Gebrauch dieser Vokale im Zielsprachenland. Man kennt im Estnischen z.B. die Interjektion "Iii!" nicht, also wäre eine Erklärung notwendig, dass man damit ein unangenehmes Gefühl oder Ekel ausdrückt.
Eine unerschöpfliche Quelle für die phonetischen Sprachspiele ist die Konkrete Poesie. Ernst Jandls "Ottos Mops" oder "Schtzngrmm" eignen sich gut für Stimm- und Artikulationsübungen. Die Regeln dieser Texte, die zuerst entdeckt werden sollen, bieten dabei Anregungen für eigene Schreibversuche.
Das Spektrum der Laut- und Klangspiele reicht noch viel weiter - bis zu den in Phantasiesprachen verfassten Gedichten, wie "Das große Lalula" von Christian Morgenstern oder die Klanggedichte von Hugo Ball. In diesen Gedichten hat die Sprache nicht mehr die Aufgabe der Kommunikation oder der Vermittlung von Informationen oder Gedanken. Stattdessen wird sie zum Material, bei dem der musikalische Aspekt - Klänge und Geräusche - in den Vordergrund tritt. In diesem Fall "verzichtet die Dichtung auf den Sinn zugunsten der Sinne" (Mattenklott 1996: 471). Das Lesen solcher Gedichte kann ein besonderes Erlebnis sein, vor allem weil sich die Lernenden dabei gar nicht auf die inhaltliche Aussage des Textes konzentrieren müssen.
"Ich habe gelernt, dass Phonetik nicht langweilig ist, und dass es in der deutschen Literatur so einen Mann wie B. Brecht gibt", so hat eine Germanistikstudentin der Pädagogischen Universität Tallinn nach dem ersten Semester ihres Studiums geschrieben, nachdem ich meine Studenten um Meinungen und Kommentare als Rückmeldung gebeten habe. Phonetik gilt oft generell als ein langweiliges und monotones Fach, das weder von Lehrkräften noch von Studenten gemocht wird. Diese Aussage zeigt, dass die sprachspielerischen Texte das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden helfen, wobei sowohl die sprachlichen, literarischen als auch landeskundlich-kulturellen Aspekte berücksichtigt werden können.
Die sprachspielerischen Texte bilden eine breite Palette von epischen, lyrischen und dramatischen Texten. Laut Mattenklott ist die Literatur insgesamt "als großes Sprachspiel oder als Netzwerk von Sprachspielen" (Mattenklott 1996: 343) zu verstehen. Genauso sieht Huizinga in jeglicher Dichtung Spiel mit Worten und Sprache, besonders in poetischen Formen, die "im Spiel und als Spiel" (Huizinga 1987: 135) geboren werden. Wenn wir die Sprache im alltäglichen Sprachgebrauch nur in der Funktion eines praktischen Instruments benutzen, dann die Literatur geht mit ihr kunstvoll um und verleiht ihr jedes Mal einen einzigartigen Charakter.
Die Literatur wird von der Sprache und von den Regeln produziert, jeder Dichtung liegt eine Regel zugrunde. In den sprachspielerischen Texten tritt die textgenerierende Regel stärker in den Vordergrund als sonst, oft besteht die Regel gerade in der Regelverletzung oder im Regelverstoß. Das Finden und Entdecken dieser Regel bzw. der Abweichung von der Regel fordert eine gründliche Analyse und kann besonders für Fremdsprachenlerner außerordentlich schwer sein. Das regelentdeckende Lernen verlangt von den Lernenden eine aktive Teilnahme am Lernprozess. Auch beim eigenen Verfassen der sprachspielerischen Texte kommt es darauf an, eine bestimmte Regel oder Struktur gut zu kennen, denn man kann etwas nur dann bewusst falsch machen, wenn man es beherrscht. Eine Sprache zu beherrschen gehört aber zu den Hauptanliegen des Fremdsprachenunterrichts.
Bohn, R. / Schreiter, I. (1989): Sprachspielereien für Deutschlernende. Leipzig.
Chiaro, D. (1992): The Language of Jokes. Analysing verbal play. London/New York.
Dotzler, B. J. (1999): "Leerstellen". In: Bosse, H. / Renner, U. (eds.): Literaturwissenschaft. Einführung in ein Sprachspiel. Freiburg im Breisgau: . (= Rombach Reihe Grundkurs 3).
Dufeu, B. (1992): "Das Rollenspiel. Vorschläge für die Praxis". Informationen zur Deutschdidaktik 16/2: 74-88.
Freud, S. (1979): Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. Frankfurt a.M.
Frey, E. (1995): Kursbuch Phonetik. Lehr- und Übungsbuch. Ismaning.
Friedrich, T. / Jan, E.v. (1985): Lernspielkartei. Spiele und Aktivitäten für einen kommunikativen Sprachunterricht. Ismaning.
Glück, H. (ed.) (1993): Metzler-Lexikon Sprache. Stuttgart / Weimar.
Grümmer, G. (1985): Spielformen der Poesie. Leipzig.
Haas, W. (1990): Sprachtheoretische Grundlagen der Konkreten Poesie. Stuttgart. (= Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik 233).
Huizinga, J. (1987): Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel. Reinbek bei Hamburg.
Lang, H. (1986): Die Sprache und das Unbewußte. Jacques Lacans Grundlegung der Psychoanalyse. Frankfurt a.M.
Larcher, D. (1990): "Friedlicher Grenzverkehr. Deutschunterricht als Förderung kreativen Sprachhandelns". Informationen zur Deutschdidaktik 14/3: 45-56.
Larcher, D. (1992): "'Der Hauptzweck der Erziehung!' Spiele im Sprachunterricht?" Informationen zur Deutschdidaktik 16/2: 22-32.
Leimeier, W. (1998): Ein herrenloses Damenfahrrad. Anregungen und Beispiele für einen kreativen und produktionsorientierten Deutschunterricht. Paderborn.
Lypp, M. (1993): "Über Hans Manz". In: Manz, H.: Die Welt der Wörter. Sprachbuch für Kinder und Neugierige. Im Anhang Beiträge über Hans Manz und seine Texte. Weinheim / Basel: .
Manz, H. (1993): Die Welt der Wörter. Sprachbuch für Kinder und Neugierige. Im Anhang Beiträge über Hans Manz und seine Texte. Weinheim/Basel.
Mattenklott, G. (1996): "Spiele mit Sprache und Schrift". Deutschunterricht 7/8/49: .
Mattenklott, G. (1996): "Spiele mit Sprache und Schrift II". Deutschunterricht 10/49: .
Mittelstraß, J. (ed.) (1996): Enzyklopädie Philosophie undWissenschaftstheorie. Bd. 4, Sp-Z. Stuttgart/Weimar.
Moser, G. E. (1992): "Die Wiederentdeckung einer Kategorie - Spiel als Element der Postmoderne". ide 16/2: 16-21.
Neumann, G. (1999): "Ein fast unendliches Spiel..." In: Bosse, H./Renner, U. (eds.): Literaturwissenschaft. Einführung in ein Sprachspiel. Freiburg im Breisgau: 7-16. (= Rombach Reihe Grundkurs 3).
Schibor, D. / Weichert, I. (1985): Sprachspiele mit Beispielen in Russisch, Englisch, Französisch. Berlin.
Ulrich, W. (1995): "Sprachspiel - Spiel mit Sprache". In: Ulrich, W./Michel, G. (eds.) Deutsch. Sprache und Kommunikation. Berlin: .
Ulrich, W. (1999): Sprachspiele. Texte und Kommentare. Lese- und Arbeitsbuch für den Deutschunterricht. Aachen.
Weinrich, H. (1985): Wege der Sprachkultur. Stuttgart.
Weller, R. (1999): Kreative Spiele. Stuttgart. (= Reclam Arbeitstexte für den Unterricht 15044).
Widmer, P. (1990): Subversion des Begehrens. Jaques Lacan oder Die zweite Revolution der Psychoanalyse. Frankfurt a.M.
Wittgenstein, L. (1971): Philosophische Untersuchungen. Frankfurt a.M.